Lateinamerika

Wie US-Geheimdienste über soziale Medien die Wahlen in Venezuela beeinflussten

Die Einmischung der USA in die Wahlen von Venezuela wird durch eine Reihe von Akten offengelegt, aus denen hervorgeht, dass man in Washington erhebliche Investitionen tätigte, um politische Aktivisten zu einem möglichst effektiven Online-Wahlkampf zu befähigen.
Wie US-Geheimdienste über soziale Medien die Wahlen in Venezuela beeinflusstenQuelle: Reuters © Eduardo Munoz

von Kit Klarenberg

Einige Dokumente, die für Forscher im Rahmen des US-Gesetzes zur Informationsfreiheit freigegeben wurden, haben enthüllt, wie US-Geheimdienste soziale Medien mit digitalen Waffen ausgestattet haben, um Venezuelas rechte Opposition zu unterstützen und deren Wahl ins Parlament zu fördern – und wie man in Washington, D.C. damit den Grundstein für die spätere Selbsternennung von Juan Guaidó zum Präsidenten des Landes im Januar 2019 legte.

Aus den Akten geht hervor, dass bereits im Oktober 2013 – sieben Monate nach dem Tod des populären sozialistischen Präsidenten Hugo Chávez – dem Nationalen Demokratischen Institut (NDI) – einer US-Geheimdienstfront, die politische Parteien im Ausland finanziert und unterstützt – fast 300.000 US-Dollar seitens der Nationalen Stiftung für Demokratie (NED) zur Verfügung gestellt wurden, die selbst wiederum eine US-Regierungsbehörde ist, welche erklärtermaßen gegründet wurde, um offen all das zu tun, was zuvor die CIA heimlich gemacht hatte, und zwar für ein Programm mit dem Titel "Venezuela: Verbesserung der Ausbildung und Kommunikationsfähigkeiten politischer Aktivisten".

Oppositionelle Elemente in Venezuela stünden vor "besonderen Herausforderungen bei der Kommunikation mit den Bürgern sowie bei der Organisation und der Mobilisierung von Unterstützern über traditionelle Informationsplattformen". Soziale Medien jedoch hätten sich "als weniger anfällig für staatliche Einschränkungen erwiesen und können ein nützliches Werkzeug für Einzelpersonen sein, um ihre Frustration über Fragen der öffentlichen Ordnung zu äußern, Fälle von Korruption hervorzuheben, mit Gleichgesinnten in Kontakt zu treten und alternative Perspektiven zu offiziellen Nachrichtenquellen anzubieten".

Es wurde wohlwollend festgestellt, dass beträchtliche staatliche Investitionen in Technologieressourcen durch die Regierung von Chávez wie auch die "produktive Nutzung von Twitter" durch den verstorbenen Präsidenten dazu beigetragen hätten, den Zugang zum Internet zu verbessern und es erheblich populärer zu machen, wodurch ein Informationsumfeld geschaffen wurde, das für bösartige Ausbeutung reif ist. "Viele politische Aktivisten" hätten jedoch nur einen "begrenzten Zugang" zu den besten Methoden in der digitalen Kommunikation und benötigten daher "zusätzliche technische Hilfe und Unterstützung, um die sozialen Medien effizienter nutzen zu können".

Viele Abschnitte in dem Dokument, welche sich eingehender auf "Programmziele" und "vorgeschlagene Aktivitäten" beziehen, sind vollständig oder zumindest umfangreich geschwärzt, obwohl die Ziele und Dimensionen des Programms dennoch ziemlich deutlich bleiben. Zum einen veranstaltete das NDI irgendwann vor den Kommunalwahlen im Dezember 2013 ein Seminar außerhalb Venezuelas, bei dem ein "Expertenrat zur Nutzung von Technologie und sozialen Medien für den Bürgerkontakt und -engagement" angeboten wurde und gleichzeitig ein Berater gestellt wurde, der "nachhaltiges Coaching" für die Teilnehmer und "individualisierte Hilfe" für eine Elitegruppe von acht besonders Begünstigten anbot, die "eine Fähigkeiten bewiesen hatten, Bürger zu engagieren und zu beeinflussen".

Dieses Seminar sollte es den Teilnehmern ermöglichen, "miteinander zu interagieren und Resonanz vom Dozenten einzuholen", wobei "individuelle strategische Planungssitzungen unter der Leitung von NDI-Beratern" ihnen helfen sollte, "Strategien für die Online-Ansprache von Bürgern und das Engagement und die Informationsverbreitung für die bevorstehenden Wahlen zu entwerfen".

Darüber hinaus hat der NED einen "virtuellen Werkzeugkasten" geschaffen – auf einem eigens geschaffenen Portal "Red Innovación" – mit dem man "maßgeschneiderte Online-Kurse zum Kapazitätsaufbau für eine Reihe von Themen im Zusammenhang mit politischer Innovation" anbot und der bis heute aktiv ist. Nach den Wahlen in Venezuela fand ein Treffen zur Analyse statt, "um längerfristige Strategien zu entwickeln, um den Kontakt zu den Bürgern aufrechtzuerhalten".

Wir spulen schnell vor zu den Parlamentswahlen in Venezuela zwei Jahre später: Die Oppositionskoalition Mesa de la Unidad Democrática (Runder Tisch der demokratischen Einheit, MUD) gewann eine historische Mehrheit in der venezolanischen Nationalversammlung – das erste Mal seit der Machtübernahme von Hugo Chávez im Jahr 1999.

Juan Guaidó gehörte zu den Kandidaten für einen Parlamentssitz und sicherte sich 26 Prozent der Stimmen in Vargas, einem verarmten Gebiet des Landes, in dem viele staatliche Unternehmen ansässig sind, die auch die Mehrheit der lokalen Bevölkerung beschäftigen. Kandidaten der Partei von Chávez waren dort bei vorangegangenen Wahlen in der Regel unangefochten angetreten.

Es ist nicht bekannt, ob Guaidó zu den acht Auserwählten gehörte, die eine ausgeprägte "Fähigkeiten bewiesen hatten, Bürger zu engagieren und zu beeinflussen" und von der NDI ausgewählt wurde, um "individualisierte Unterstützung" bei Online-Kampagnen zu erhalten. Aber 2015 war er zumindest einer von mehreren Oppositionsaktivisten, die in einen Hungerstreik traten – aus Protest gegen eine angebliche Drohung der Regierung, die geplanten Parlamentswahlen abzusagen. Diese Aktivitäten wurden in den sozialen Netzwerken stark beworben und in den westlichen Medien weit verbreitet. Was auch immer die Wahrheit ist – es ist klar, dass die Einmischung des NDI in die sozialen Medien eine entscheidende Rolle beim Schockergebnis der Parlamentswahl 2015 gespielt hatte.

Eine vom NDI veröffentlichte Übersicht rühmt sich der umfassenden Unterstützung, die es der Oppositionskoalition MUD in den Jahren vor der Abstimmung gewährte, einschließlich der "Erstellung einer Wählerdatenbank, um zweifelnde Unterstützer der sozialistischen Partei und Wechselwähler " zu identifizieren, die dann "in spezifische Kategorien eingeteilt wurden, als Empfänger für spezifische Botschaften". Dies ermöglichte es der Koalition, "ihre Reichweite anzupassen, um Wähler aller Richtungen mit einem hohen Maß an Spezifität zu erreichen".

"Der Aufbau einer so großen, detaillierten Datenbank, mit der man die politischen Neigungen von über 3,5 Millionen Wählern vorhersagen kann, erforderte viel Zeit, intensive Planung und ein strukturiertes Ausrollen", erklärte das NDI. "Die MUD hat seine Social-Media-Kampagne auf Facebook geführt, mit der Wähler mit unterschiedlichen Botschaften angesprochen und dabei ihre politischen Neigungen berücksichtigt wurden."

Einige Wähler erhielten "Alle zur Wahl"-Botschaften, andere wurden mit diskreditierenden Informationen über sozialistische Kandidaten ins Visier genommen, "um sie auf die andere Seite zu ziehen". Die Datenbank ermöglichte es der MUD auch, etwa 8,5 Millionen Wähler auf Facebook zu identifizieren und sie mit "spezifischen Nachrichten" mindestens einmal auf Facebook zu erreichen.

Details von Verschwörungen zur Einmischung in ausländische Wahlen wurden selten so unverblümt und offen ausgesprochen, obwohl es keine Überraschung sein sollte, dass man sich in Washington, D.C. des digitalen Metiers angenommen hatte, um die Regierung Venezuelas zu destabilisieren. Schließlich gibt es keine Sphäre oder Ressource, mit der die US-Geheimdienste nicht versuchen würden, den sozioökonomischen Fortschritt in dem kühnen lateinamerikanischen Land zu stören.

Im Jahr 2010 veröffentlichte WikiLeaks ein vier Jahre zuvor verfasstes Telegramm, in dem der US-amerikanische Botschafter in Caracas eine fünf Punkte umfassende Nacht-und-Nebel-Strategie skizziert hatte, um "die politische Basis von Chávez zu durchdringen", "den Chavismus zu spalten", "zentrale US-Interessen zu schützen" und "Chávez international zu isolieren". Im Mittelpunkt dieser Bemühungen stand das Büro für Initiativen des Wandels (Office of Transition Initiatives: OTI) von USAID, das "schnelle, flexible und kurzfristige Hilfen leistet, die auf wichtigen politischen Wandel ausgerichtet sind" – mit anderen Worten: auf einen Regimewechsel.

Zu den Aktivitäten des OTI in Caracas gehörte die Unterstützung von über 300 Nichtregierungsorganisationen (NGO) im ganzen Land "mit technischer Hilfe, dem Aufbau von Kapazitäten, der Vernetzung untereinander und mit internationalen Bewegungen, sowie finanzieller Unterstützung von mehr als 15 Millionen US-Dollar". Einige der NGOs sollen gezielt aus Mitteln der USAID ins Leben gerufen worden sein, darunter Initiativen zum "Umgang mit den Rechten von Behinderten" und Projekte zur "bürgerschaftlichen Bildung".

Es kann nur als schockierende, aber vorhersehbare Anklage gegen die Mainstream-Medien angesehen werden, dass die in diesen Dokumenten enthaltenen Enthüllungen von denselben Journalisten ignoriert werden, die andererseits so lächerliche Behauptungen verbreitet haben wie, Russland habe den Ausgang der US-Präsidentschaftswahl 2016 mit Hilfe von geradezu infantiler Social-Media-Werbung beeinflusst, auch wenn die so gut wie niemand je gesehen hat.

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Übersetzung aus dem Englischen.

Kit Klarenberg ist ein investigativer Journalist, der die Rolle von Geheimdiensten bei der Gestaltung von Politik und Wahrnehmung untersucht. Folgen Sie ihm auf Twitter @KitKlarenberg

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