Lateinamerika

Nicaragua im Wahljahr: Beitrag der Washington Post sieht Mission als unvollendet

Im November stehen in Nicaragua Wahlen an. Kritik an Präsident Ortega kommt von US-amerikanischen Medien. Besonders deutlich machte dies Charles Lane in der Washington Post mit einem Beitrag, in dem er Parallelen zu Afghanistan zieht und die Mission in beiden Ländern als unvollendet darstellt.
Nicaragua im Wahljahr: Beitrag der Washington Post sieht Mission als unvollendetQuelle: www.globallookpress.com © Stringer/dpa/ Global Look Press

Die Monroe-Doktrin, mit der die USA in der Mitte des 19. Jahrhunderts ihr alleiniges Vorrecht auf die Vorherrschaft in der gesamten westlichen Hemisphäre verkündeten, scheint "alive and well". Die Entwicklungen in Nicaragua, dessen Geschichte stark von der Einmischung der USA geprägt ist, sind im aktuellen Wahljahr von besonderem Interesse.

Die Washington Post machte dies jüngst als Plattform für einen Meinungsbeitrag am deutlichsten. So schrieb Charles Lane, der regelmäßig auch bei Fox News sowie für die Washington Post Beiträge verfasst, kurz nach dem deutlichen Scheitern der zwanzigjährigen militärischen US-Mission(ierung) am Hindukusch zeige sich durch den Blick auf die Geschichte des zentralamerikanischen Landes, dass es falsch sei anzunehmen, dass "der Abzug der USA aus Kabul ein Ende des Afghanistankonflikts oder ein – wenn auch reduziertes – Engagement der USA in Afghanistan bedeutet".

"Fast 80 Jahre nachdem Präsident Franklin D. Roosevelt eine 20-jährige US-Intervention in Nicaragua beendete, indem er die Marines abzog und Nicaragua einer von den USA ausgebildeten Nationalgarde übergab – von denen viele am Ende 1979 desertierten –, ist das mittelamerikanische Land noch nicht ganz fertig mit uns."

Lane zitiert den Fall eines inhaftierten Oppositionspolitikers, der angeblich allein deshalb im Gefängnis sitze, weil er im November gegen Ortega habe antreten wollen, und reichert diesen vermeintlichen Missstand mit emotionalen Zeilen der Tochter des Kandidaten Arturo Cruz Sequeira an. Der ehemalige nicaraguanische Botschafter in den USA wurde in seiner Heimat der "Verschwörung zur Beeinträchtigung der nationalen Integrität" beschuldigt, die dem Autor möglicherweise weniger relevant erscheint.

Lane selbst ist neben seiner Mitgliedschaft des Council on Foreign Relations so etwas wie der Vorgesetzte – oder vielleicht auch Mentor – des US-amerikanischen Relotius. Während seiner Zeit als Redakteur bei The New Republic beaufsichtigte Lane die Arbeit des Reporters Stephen Glass, der für einen der größten journalistischen Fälschungsskandale des zeitgenössischen amerikanischen Journalismus steht. Unter Lane konnte Glass erhebliche Teile oder ganze 41 Artikel fingieren. Doch nicht nur Lane stellt in der zunehmend umstrittenen Zeitung des US-Milliardärs, Steuerflüchtlings und Gewerkschaftsfeinds Jeff Bezos Vorlagen zur Verfügung, die andernorts bereits für offene militärische Missionen der USA gedient haben.  

Aktuell findet auch die "Sorge" offizieller Stellen in Washington um Nicaragua Ausdruck in neuen Sanktionen, so dem Gesetz namens "Reinforcing Nicaragua's Adherence to Conditions for Electoral Reform (RENACER) Act". In der Fassung des Senats heißt es: "Dieser Gesetzentwurf verpflichtet die Exekutive, die US-Diplomatie und die bestehenden gezielten Sanktionen aufeinander abzustimmen, um demokratische Wahlen in Nicaragua zu fördern, und umfasst neue Initiativen gegen Korruption, Menschenrechtsverletzungen und die Einschränkung der Pressefreiheit."

Auch der US-Sender CNN beklagte beispielsweise am 9. Juni eine Reihe von Verhaftungen führender Oppositionspolitiker in Nicaragua und behauptete, dass dies Teil eines seit Langem etablierten Musters sei, da "Ortegas Regierung in der Vergangenheit nicht davor zurückgeschreckt ist, gegen die Opposition vorzugehen". Ebenso erhielt der Fall der Präsidentschaftskandidatin Cristiana Chamorro Aufmerksamkeit einiger ausländischer Medien, in deren Stiftung das nicaraguanische Innenministerium "eindeutige Beweise für Geldwäsche" gefunden hatte. Wie beispielsweise Reuters auch ausführt, ist Chamorro die Tochter der ehemaligen Präsidentin Violeta Barrios de Chamorro, deren Wahl 1990 Ortegas erste elfjährige Amtszeit als Präsident beendete, sowie Vizepräsidentin der größten Zeitung Nicaraguas, La Prensa. Ihre Kandidatur wird von einem Netzwerk von Geschäftsleuten unterstützt, die Ortegas zweite 14-jährige Amtszeit beenden wollen was den aufmerksamen Leser darauf schließen lassen könnte, dass Chamorro für spezifische Interessen einer reichen Minderheit im Land steht.

Darüber hinaus und in keinem dieser Artikel ausgeführt, ist die Stiftung Hauptempfänger von Geldern aus dem Ausland, die die politische Agenda im Land ausrichten sollen. Ähnlich verhält es sich mit bedeutenden Teilen der rechten Opposition im Land, die wie auch Dissidenten erhebliche Mittel von staatlichen oder staatlich finanzierten US-Organisationen wie der United States Agency for International Development (USAID) und dem National Endowment for Democracy (NED) erhalten, die 1983 mit dem ausdrücklichen Ziel gegründet wurde, "heute das zu tun, was die CIA vor 25 Jahren im Verborgenen getan hat", wie es der Historiker Allen Weinstein formulierte.

Sowohl die US-amerikanischen Geheimdienste als auch das damit verbundene Militär haben sehr lange die Entwicklungen des dadurch bettelarm gewordenen Landes beeinflusst. Schon im frühen 20. Jahrhundert hat die US-Marine nach einigen Kämpfen mit und dem Mord an Augusto César Sandino dafür gesorgt, die Somoza-Diktatur zu errichten, die Nicaragua ab 1936 über vier Jahrzehnte lang mit eiserner Faust beherrschte. Nach dem Sturz des brutalen Somoza-Regimes im Jahr 1979 sahen sich die Sandinisten gewaltsamen Versuchen Washingtons ausgesetzt, sie durch eine pro-amerikanische Regierung zu ersetzen. Washington gründete und finanzierte die für ihre Skrupellosigkeit international bekannte paramilitärische Organisation der Contras, die einen langwierigen schmutzigen Krieg gegen die sandinistische Regierung führte. Die Contras schreckten auch gegen die Zivilbevölkerung nicht zurück, sie mordeten, folterten und terrorisierten die Menschen. Mit der Androhung eines weiteren Krieges und brutaler Wirtschaftssanktionen versuchte Washington Ende des 20. Jahrhunderts, die Menschen in Nicaragua dazu zu zwingen, gegen die Sandinisten zu stimmen. Gegen die dennoch im Jahr 2006 wiedergewählte sandinistische Regierung unterstützte Washington im Jahr 2018 gewalttätige Aufständische, die das Land monatelang aus der Bahn warfen.

Dass die Regierung des Landes nun von den USA finanzierten Oppositionellen der "Anstiftung zur ausländischen Intervention" verdächtigt, lässt sich anhand dieses medial gern ausgeblendeten Hintergrunds möglicherweise besser nachvollziehen, der so oder ähnlich die Geschichte anderer Länder in der Region mitgeprägt hat, sollten die Menschen es gewagt haben, eine Regierung zu bevorzugen, die Washington oder anderen ausländischen Interessen gegenüber skeptisch sind. Kenner der Geschichte des Kontinents reagierten entsprechend auf den Artikel in der Washington Post.

So schrieb Alan McLeod auf Twitter:

"Es ist gerade einmal zwei Wochen her, dass die USA aus Afghanistan abgezogen sind, und schon fordern die Kolumnisten der Washington Post einen Angriff auf ein anderes Land."

McLeod hat nach eigenen Angaben zur lateinamerikanischen Politik promoviert, hält Vorlesungen darüber an Universitäten und hat ein Buch sowie fünf von Experten begutachtete Artikel zu diesem Thema verfasst, wie er mitteilte, nachdem ein britischer Politiker ihn nach einer Meinungsverschiedenheit zu den Wahlen in Peru gefragt hatte, ob er denn überhaupt etwas über das Land wisse. Auch der Journalist Ben Norton, der sich mit dem Land bereits zuvor auseinandergesetzt hat, bezeichnete es als "unverhohlenen Neokolonialismus".

"Die Washington Post (im Besitz des Multimilliardärs Jeff Bezos) veröffentlichte diesen irrsinnigen Meinungsartikel, der Afghanistan zitiert, um zu argumentieren, dass es ein Fehler war, dass die USA ihre militärische Besetzung Nicaraguas vor 80 JAHREN beendeten, weil das Land jetzt eine unabhängige linke Regierung hat."

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