Lateinamerika

Brasilien meistert Wirtschaftskrise durch "Corona-Hilfen" scheinbar besser als seine Nachbarn

Viele südamerikanische Länder, die einen harten Lockdown verhängten, haben nun ernsthafte wirtschaftliche Probleme. In Brasilien erholt sich die Wirtschaft jedoch schnell – durch Corona-Sozialhilfen. Es ist jedoch fraglich, wie nachhaltig die Maßnahmen Bolsonaros sind.
Brasilien meistert Wirtschaftskrise durch "Corona-Hilfen" scheinbar besser als seine NachbarnQuelle: www.globallookpress.com © Andre Borges

Die meisten Länder Südamerikas fuhren während der Corona-Krise einen recht strikten Lockdown-Kurs, seit die ersten COVID-19-Fälle in Südamerika dokumentiert wurden. Allerdings gab es eine Ausnahme: Brasiliens Ministerpräsident Jair Bolsonaro spielte die Gefahr durch das Virus von Anfang an herunter. Einen Lockdown verweigerte er mit der Begründung, dass er die Wirtschaft nicht vor die Wand fahren wolle und die Quarantäne schädlicher sei als die "Grippe" selbst.

Seine Sorgen waren nicht ganz unbegründet, denn in den meisten Ländern Südamerikas arbeitet mehr als die Hälfte der Bevölkerung im informellen Sektor, die von dem lebt, was sie am Tag verdient. Einen Lockdown für diese Bevölkerungsgruppe durchzuführen gestaltet sich als schwierig, denn ein "soziales Netz", wie etwa in Deutschland, gibt es nicht. Und auch die Entwicklung in Argentinien und anderen Länder Lateinamerikas scheint Bolsonaro recht zu geben.

Argentiniens Regierungschef Alberto Fernández setzte zum Beispiel von Anfang an auf strikte Quarantänemaßnahmen. Seit dem 24. März herrschte in Argentinien eine komplette Pflichtquarantäne, und nur lebenswichtigen Hersteller und Dienstleister arbeiteten weiter, während Schulen, Universitäten, Restaurants und Warenhäuser geschlossen blieben. Fast 90 Prozent der Bevölkerung mussten daheimbleiben. Armenviertel, in denen Personen positiv auf Corona getestet wurden, riegelte man komplett von der Außenwelt ab.

Aber die wirtschaftlichen Folgen für das Land sind dramatisch: Laut dem Lateinamerika-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft rechnet man mit einem Einbruch der Wirtschaft um 12,3 Prozent. Mit einer Arbeitslosenquote von 13,1 Prozent rutschte Argentinien auf das Niveau von 2005, als sich das Land in einer schweren Wirtschaftskrise befand. Immer mehr Menschen sind durch die wirtschaftliche Krise von extremer Armut betroffen, mittlerweile rutschten 40,9 Prozent der Argentinier unter die Armutsgrenze. Laut Erzbischof Victor Manuel Fernández aus La Plata verschob sich diese Grenze und betrifft nun vor allem die Mittelschicht:

Die neuen Armen gehörten bis vor Kurzem zur Mittelklasse, viele von ihnen waren Facharbeiter und Kleinunternehmer, die plötzlich unter die Armutsgrenze gerutscht sind.

Die Regierung um Fernández steht deshalb nun in der Kritik. Die Wirtschafts- und Finanzkrise ist für das Land, das schon unter der Vorgängerregierung hoch verschuldet war, ein ernstes Problem. Zumindest eine erneute Staatspleite konnte Argentinien nach monatelangen Verhandlungen durch Umschuldungsmaßnahmen verhindern. Auch der Lockdown hatte offensichtlich wenig gebracht, denn seit August steigen die Zahlen der registrierten COVID-19-Fälle und die Todesfälle im Zusammenhang mit Corona.

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Auch in Kolumbien und vor allem in Peru, die beide seit Mitte März einen harten Lockdown verordnet hatten, ist die Lage ernst. Auch in diesen beiden Ländern kam es zu einem Wiederanstieg der registrierten Fälle mit COVID-19, insbesondere in Peru ist die Lage dramatisch, da auf 100.000 Einwohner zeitweise 90 Tote kamen, die im Zusammenhang mit COVID-19 stehen.

In Peru ist die Wirtschaft aufgrund der Lockdown-Maßnahmen zusammengebrochen, und die Corona-Lage hat das Land auch nicht in den Griff bekommen. Die Gründe dafür liegen eng beieinander. In Peru arbeiten zum Beispiel fast 70 Prozent der Erwerbstätigen als Solo-Selbstständige und im informellen Sektor. Während eines Lockdowns ist es für diese Gruppe nicht möglich, zu Hause zu bleiben. Die peruanische Regierung startete zwar auch Hilfsprogramme, die zwölf Prozent des BIP betrugen. Allerdings kam es bei der Verteilung der Gelder zu Problemen, da die Auszahlungen sich verzögerte und auf wenige Banken konzentrierte. Zu den Problemen Perus kommt noch ein Gesundheitssystem, das in den 90ern stark privatisiert wurde, während öffentliche Kliniken unzureichend ausgestattet sind. Auch Korruption ist im Gesundheitssektor weit verbreitet. All dies führte dazu, dass das Gesundheitssystem in der Corona-Krise kurz vor dem Zusammenbruch steht.

Bolsonaros Wandel zum "Retter der Armen"

In Brasiliens schien die Situation am Anfang aufgrund der hohen Zahl an positiven Corona-Tests dramatisch. Das Land galt als Brennpunkt der globalen Corona-Krise, und der mediale Mainstream auf der ganzen Welt verurteilte Bolsonaro hart für seinen Kurs. Auch innerhalb der Regierung führte Bolsonaros Auffassung, dass Corona eine "leichte Grippe" sei, zu Streit. Die Gouverneure einzelner Provinzen und auch kriminelle Gangs verhängten – zum Missfallen des Präsidenten – dennoch Maßnahmen wie Ausgangssperren im Kampf gegen das Virus.

Durch das Verhindern von Präventionsmaßnahmen stand das Gesundheitssystem zeitweise kurz vor dem Zusammenbruch. Insgesamt führte dieses Vorgehen zu mehr als 150.000 Todesfällen, die mit COVID-19 im Zusammenhang stehen. Allerdings scheint sich Brasilien zumindest wirtschaftlich schneller zu erholen als erwartet, den erwarteten Einbruch der Wirtschaft um 9,7 Prozent musste man auf ein Minus von nur 5,3 Prozent korrigieren. Damit liegt der Wirtschaftseinbruch in etwa auf demselben Niveau wie dem von Deutschland, und Brasilien ist nun das einzige Land Südamerikas, in dem sich die wirtschaftliche Entwicklung im Vergleich zu den ersten Prognosen verbessert hat.

Grund dafür sind die Hilfszahlungen an die ärmere Bevölkerung. Seit fünf Monaten erhalten Arbeitslose Hilfszahlungen von 600 Reais (etwa 100 Euro) im Monat, für Freiberufler und Tagelöhner beträgt die Unterstützung 300 Reais. Diese Maßnahmen haben bei vielen Brasilianern einen Absturz in die totale Armut verhindert. Die Hilfszahlungen führten zu einem regelrechten "Konsumrausch" und hatten einen enormen Effekt auf die Wirtschaft. In den ärmeren Vierteln führten sie sogar zu einem regelrechten Bauboom. Nach Angaben des brasilianischen Sozialforschungsinstituts SEI führten die Hilfszahlungen zu einem Wirtschaftsplus von 6,7 Prozent.

Doch man sollte nicht denken, dass die Wandlung Bolsonaros zum "Retter der Armen" aus reiner Barmherzigkeit erfolgt. Nach Angaben des Onlinemagazins amerika21 hatte Bolsonaro zuerst versucht, das von linken Parteien ins Parlament eingebrachte Gesetz für die Corona-Hilfszahlungen zu verhindern. Als er das Gesetz angesichts der katastrophalen Situation im Land nicht zu unterbinden wusste, stellte er sich nach dessen Verabschiedung als dessen Befürworter dar und gewann enorm an Popularität. Seitdem sind seine Umfragewerte von 29 auf 40 Prozent gestiegen. Seine Forderung, die Wirtschaft des Landes nicht an die Wand zu fahren, ist auch in großen Teilen Bevölkerung populär – vor allem in den ärmeren Bevölkerungsschichten.

Ein weiterer Faktor, der Brasilien zugutekommt, ist der zunehmende Export: Die OECD bestätigte, dass das exportierende Gewerbe wächst, vor allem China ist ein wichtiger neuer Absatzmarkt. Durch den Handelsstreit mit den USA sucht sich die Volksrepublik neue Partner für Agrarprodukte, und Brasilien, das beispielsweise zu den größten Soja-Produzenten zählt, profitiert enorm davon. Die Agrarindustrie war auch die einzige Branche, die während der Pandemie wuchs, und zwar um 24,5 Prozent. Allerdings geschah dies auf Kosten des Regenwaldes, der dafür abgeholzt wurde.

Der Handel mit China mag zwar längerfristig erfolgreich sein, allerdings dürfte dies kaum auf die Sozialhilfen zutreffen: Bereits jetzt ist abzusehen, dass die Sozialhilfen nicht von Dauer sein werden. Im defizitären Brasilien dürfte das Haushaltsdefizit am Jahresende voraussichtlich 16 Prozent des BIP betragen und die Verschuldung auf über 100 Prozent des BIP anwachsen. Anfang September wurden die Hilfszahlungen deshalb um die Hälfte gekürzt, während die Militärausgaben um fünf Prozent angehoben wurden. Bolsonaro erklärte dazu:

Wir haben alles ausgegeben. Mehr geht nicht

Damit kommt Bolsonaro dem Drängen seines Wirtschaftsministers Paulo Guedes nach, der schon im Mai dieses Jahres während einer Kabinettssitzung dafür eintrat, dass "sich in der Krise jeder um sich selbst scheren soll".

Deshalb wird es wohl kein soziales Netz geben, wenn die Hilfen zum Ende des Jahres auslaufen. Fraglich, wie sich die wirtschaftliche Lage in Brasilien weiterentwickelt. Die Staatsverschuldung, mit der die Hilfen bezahlt werden, werden vor allem aus Steuern bezahlt. In Brasilien werden diese aber kaum auf Kapitaleinkünfte erhoben, sondern vor allem auf Konsumartikel. Damit dürften im Endeffekt vor allem die armen Bevölkerungsschichten die Rechnung bezahlen.

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