Offener Brief von Anja Böttcher: "Stimmungsmache gegen Russland ist zum Scheitern verurteilt"

Mit Beginn der Ukraine-Krise setzte in den deutschen Medien eine beispiellose Welle anti-russischer Propaganda und Stimmungsmache ein. Zudem sind immer wieder Versuche zu beobachten, Stimmen, die sich gegen einen westlichen Konfrontationskurs mit Russland stellen, zu diskreditieren. Neuerdings wird dafür gerne der Begriff "Querfront" benutzt. In einem offenen Brief wendet sich Anja Böttcher nun – stellvertretend für die Mehrheit der deutschen Bevölkerung – an Vertreterinnen und Vertreter der Botschaft der Russischen Föderation in Berlin, um klarzustellen, dass diese Propaganda nicht auf fruchtbaren Boden fällt und die deutsche Bevölkerung Frieden mit Russland wünscht. RT Deutsch dokumentiert den offenen Brief im Wortlaut.
Offener Brief von Anja Böttcher: "Stimmungsmache gegen Russland ist zum Scheitern verurteilt"Quelle: AP © Markus Schreiber

Sehr geehrte Vertreterinnen und Vertreter der Botschaft der Russischen Föderation in Berlin,

seit Beginn der Ukraine-Krise haben die deutschen Leser von führenden Printorganen und die Zuschauer/Hörer der audiovisuellen Medien, darunter vor allem des zwangsweise von der gesamten Bevölkerung finanzierten öffentlich-rechtlichen Rundfunks und – Fernsehens, in einem bislang ungekannten Maße gegen die offensichtlich russophobe Ausrichtung ihres öffentlichen Diskurses heftig und nachhaltig protestiert. Zu einsichtig war es, dass die mediale Darstellung Ihres Landes und unseres großen Nachbarlandes von Beginn an darauf ausgerichtet war, in der Bevölkerung eine feindselige und aggressive Einstellung gegenüber Russland zu verbreiten und tief zu verankern.

Dies ist bislang nicht gelungen; stattdessen hat die Befremdung der Bevölkerung gegenüber ihrer medialen und politischen Repräsentation in einem Maße zugenommen, das den Zusammenhalt der deutschen Gesellschaft auf Dauer ernsthaft gefährden könnte.

Denn als einzige Reaktion auf die argumentativ gut begründeten und mit zahlreichen empirischen Belegen (per Links) bespickten Publikumsproteste erfolgte, nachdem zensorische Eingriffe in die Foren das Bild der Leserreaktionen in der Öffentlichkeit nicht entscheidend verschleiern konnten (viele wichen dann einfach auf alternative Foren aus; Medienwatchblogs erhielten regen Zulauf), eine konzertierte Publikumsbeschimpfung. Im glimpflichsten Fall wurden die Leser, denen offensichtlich ein eigenständiges Denkvermögen nicht zugetraut wird, als "Opfer russischer Propaganda" dargestellt (als seien US- und transatlantische Netzwerke sowie NATO-PR in Deutschland nicht tausendfach präsenter als Stimmen und Portale der Russischen Föderation). Bösartiger noch war die Unterstellung, es handle sich bei kritischen Foristen um bezahlte "Trolle" der russischen Geheimdienste oder um therapiebedürftige Neurotiker, die aufgrund des russischen Siegs im Zweiten Weltkrieg oder der Jahrzehnte dauernden Kulisse auf Westdeutschland gerichteter russischer Atomwaffen im Kalten Krieg ein "Stockholm-Syndrom" entwickelt hätten, im vulgärfreudianischen Jargon die Bezeichnung für eine masochistische Identifikation mit einem gewalttätigen Entführer.

Die gleichen Leute, die es offensichtlich für pathologisch halten, dass die deutsche Bevölkerung als Konsequenz aus der Erfahrung zweier blutiger Weltkriege eine aggressive Konfrontationspolitik gegenüber Russland in der überwältigen Mehrheit entschieden ablehnt, empfinden es anscheinend als völlig natürliche Konsequenz der Katastrophe des Naziregimes, von da an blind jeder militaristischen Hegemonialpolitik der Vereinigten Staaten zu folgen, auch wenn diese in einen Krieg mit Russland führen könnte. Verstehe das, wer mag! Ich jedenfalls halte die Tatsache, dass die übergroße Mehrheit der Deutschen die obige Logik als abstrus erachtet, für den Beweis, dass die Bevölkerung geistig und psychisch in deutlich besserer Verfassung ist als ihre Vertreter, die offensichtlich nicht nur "in einer anderen Welt" leben als der russische Präsident (O-Ton Frau Merkel), sondern auch als die Mehrheit des eigenen Volks.

Wer einen Eindruck davon erhalten will, in welchem Maße auch politische Repräsentationsorgane dazu neigen, die obstinate Bevölkerung demagogisch anzugehen und geachtete Politiker, die sich für eine neue Kooperation mit Russland stark gemacht haben, zu diffamieren, nur um eine antirussische Meinungshoheit durchzusetzen und zu sichern, der schaue sich den Eingangsartikel der aktuellen Ausgabe des Publikationsorgans des Deutschen Bundestags "Das Parlament" an.

Der schrill aufgemachte und von dem Historiker Gert Koenen verfasste Artikel "Der Putin-Komplex" gleich auf der Titelseite kündigt schon in der Überschrift die Absicht an, nicht nur den russischen Präsidenten, sondern auch alle jenen Deutschen, die sich für die friedliche Kooperation Deutschlands und Russlands auf Augenhöhe und der Basis eines selbstverständlichen gegenseitigen Grundrespekts einsetzen, zu diskreditieren. Zu klar benennt nämlich das Wort "Komplex", dass Koenen jede andere als die offiziell feindselige Haltung gegenüber einer demokratisch legitimierten russischen Regierung, die derzeit laut Umfragen in diesem geopolitischen Konflikt von 81% der Russinnen und Russen unterstützt wird, als krankhaft zu charakterisieren gedenkt. Doch Koenens Diffamierungsarsenal beschränkt sich nicht nur auf die (ziemlich miese) Taktik des Pathologisierens politscher Gegner, sondern greift auch bereitwillig zum Mittel des politischen Rufmords.

Ein Beispiel: Koenen stellt das Engagement unterschiedlicher Altpolitiker aller etablierten Parteien, den friedenspolitischen Konsens der 70er und 80er Jahre und den Rechtsstatus des Grundgesetzes zu erhalten, als die derzeit größte demokratische Binnengefährdung der Bundesrepublik Deutschland dar, indem er deren aktuelle Friedensinitiative (u.a. den Aufruf "Nicht in unserem Namen!") als "eine weit ausgefächerte Querfront von Egon Bahr über den Strauß-Intimus Winfried Scharnagl bis zur Grünen Antje Vollmer" bezeichnet.

Die gewünschte Konnotation ist hier: Wer die bilateralen Beziehungen zu Russland immer noch an den Maximen der Brandtschen Ostpolitik und der friedenspolitischen Ausrichtung unserer Verfassung orientieren will, bereitet einem russischen Putin=Hitler ebenso den Weg wie der antirepublikanische Coup des Kabinetts Schleicher 1932 einst Adolf Hitler. Dass die hierin unterschwellig implizierte Gleichstellung des russischen Präsidenten mit dem schrecklichsten Diktator der Menschheitsgeschichte, der zudem noch am Tod von 27 Millionen Sowjetbürgern schuld ist, für russische Ohren (aber nicht minder für unsere!) unerträglich ist, versteht sich von selbst.

Aber es wird auch deutlich, in welch absurder Weise alle Gegner der aggressiven Hegemonialpolitik der NATO nicht nur (den Feindbildern des Kalten Krieges entsprechend) etwa als "Altstalinisten" ausgerufen, sondern sogar in die pro-nazistische Ecke gestellt werden: Die Vokabel "Querfront" geistert schon seit geraumer Zeit als Beschimpfung aller sich explizit für den Frieden einsetzender Menschen durch den offiziellen Mediendiskurs. (Denn bekanntlich waren die Nazis ja so friedensliebend!) Ein wirklicher Begriff ist da aber schon lange nicht mehr beim Worte; die Kombattanten an der Diffamierungsfront scheinen vielmehr jede Bezeichnung als legitim zu befinden, die den politischen Gegner, hier jegliche Friedensfreunde, unterhalb der Gürtellinie trifft. Dies bezeugt die Übertragung dieser Bezeichnung auf hoch geschätzte Altpolitiker recht gut: Es zieht jedem historisch auch nur halbwegs Gebildeten die Schuhe aus, wenn sie selbst in ein Parlamentsorgan Eingang findet.

Denn die Politiker, von denen hier insinuiert wird, dass ihre Artikulation politischer Gemeinsamkeiten einen Grund biete, an ihrer Treue zum demokratischen Rechtsstaat zu zweifeln (denn der Terminus "Querfront" bezeichnet historisch ja nun mal den Versuch eines [zunächst missglückten] nationalkonservativen Putschversuchs mit Hilfe eines Teils der Nazis gegen die Weimarer Republik), sind samt und sonders Mitglieder solcher Parteien, die auf Landes- und Bundesebene diverse Male bereits Regierungskoalitionen eingegangen sind. Angesichts dessen dürfte die Existenz eines ‚gemeinsamen politischen Nenners‘ nicht allzu verdächtig sein: Was – bitte – hat dann das politische Erbe des gerade erst verstorbene Egon Bahr (SPD) mit dem Ansinnen Kurt von Schleichers gemein, einen Putsch gegen den demokratischen Rechtsstaat der Weimarer Republik durchführen zu wollen? Natürlich nichts. Was Winfried von Scharnagel mit nationalbolschewistischen Mitgliedern des ADGB (Allgemeinen Deutsche Gewerkschaftsbundes) von 1932? Natürlich ebenso wenig. Was Antje Vollmer, evangelische Pfarrerin, Urgestein der Partei Die Grünen und der westdeutschen Friedensbewegung, mit dem Führer eines Flügels der NSDAP, Gregor Strasser? Natürlich weniger als nichts. Hier wird einfach blind draufgehauen.

Eben deshalb sind die Protagonisten der Konfrontationslogik aber auch zum Scheitern verurteilt und man sollte klar sehen, dass die Steigerung ihrer Aggression ein sicheres Zeichen ihrer Niederlage im Kampf um die öffentliche Meinung ist.

Denn alles, was in der deutschen Zivilgesellschaft der fünf letzten Jahrzehnte intensiv diskutiert wurde, hielt Eingang in den Schulunterricht, den jeder über die finstere Zeit der Nazi-Herrschaft von klein an erlebt. Deshalb entlarvt eine solche auf Eskalation und Hetze ausgerichtete Feindpropaganda jeder Mittelstufenschüler ohne Schwierigkeiten. Denn die strukturellen Grundzüge dieser menschenfeindlichen Rhetorik erlernen Schulklassen in zahlreichen Unterrichtsvorhaben im Deutsch- und Geschichtsunterricht der weiterführenden Schulen, wo goebbelsche Reden, Wahlplakate der NSDAP und die Hetzartikel eines Julius Streichers kleinschrittig analysiert werden. Dass Dämonisierung, eine manichäische Weltsicht, eine starke Gut/Böse-Dichotomie, eine Schwarz-Weiß-Zeichnung der Realität sowie die Pathologisierung wie Dehumanisierung des Gegners strukturelle Merkmale der Nazi-Propaganda waren, lernt jeder Schüler, sobald er imstande ist, den Namen des dafür verantwortlichen Propagandaministers Joseph Goebbels richtig zu schreiben. Je stärker sich die aktuelle Diffamierungswelle dem strukturell annähert, umso mehr wird die Ablehnung der damit verbundenen Konfrontationspolitik gegen Russland in der deutschen Öffentlichkeit verstärkt und zementiert.

Denn es ist, allen Behauptungen zum Trotz, keine generelle Apologie russischer Regierungspolitik, die sich im Zorn der deutschen Leser ausdrückt (für Demokraten ist es ausschließlich die Angelegenheit der Bürgerinnen und Bürger der Russischen Föderation, wer wie Russland regiert!), sondern das Insistieren darauf, die eigene Regierung auf eine kooperative, friedliche und dem gegenseitigen Grundrespekt fußende gemeinsamen Friedenspolitik aller Länder Europas (inklusive Russlands) zu verpflichten und allen politischen Kräften – gerade auch in der EU und der NATO, aber auch in der Ukraine – entschieden die Rote Karte zu zeigen, wenn sie weiter in Richtung Konfrontation marschieren wollen. Dies gilt ganz besonders für die Elite eines weit entfernt auf einem anderen Kontinent liegenden Landes, die sich seit 1990 einbildet, um der Sicherung der eigenen Hegemonie willen andere Teile der Welt in Krieg und Verderben schicken zu dürfen (- in der trügerischen Hoffnung, von den Konsequenzen bliebe dauerhaft das eigene Land verschont!)

Denn niemand von uns, der klar bei Verstand ist, kann wollen, dass unsere Kinder so schreckliche Zeiten durchmachen müssen wie unsere Eltern und Großeltern, dass der Hass und die Gewalt, die so viele Seelen vergiftet haben, sich in unseren Umgang miteinander dauerhaft einnistet und dass das kostbare Gut der Versöhnung, die doch so weitgehend in den Jahren nach dem Fall des Eisernen Vorhangs erreicht schien, derart fahrlässig und leichtsinnig beiseite geworfen wird.

Wir hoffen, dass in Russland gesehen wird, wie breit und umfassend der Protest der deutschen Bevölkerung (und ähnliches gilt für viele andere EU-Länder auch) gegen die medialen Stimmen der Verachtung und Aufrüstung war und ist – und wie wenig von diesem aggressiven Kriegsgeschrei die Menschen innerlich angenommen haben. Die Menschen im Donbass haben bereits einen schrecklichen und blutigen Preis für diesen sinnlosen Willen zur Konfrontation zahlen müssen! Deshalb wird es höchste Zeit, dass die Anhänger der Eskalationspolitik einsehen, dass sie den Kampf um die "hearts and minds" der Bevölkerung schon lange verloren haben. Zum Schweigen bringen werden sie uns jedenfalls nicht. Der Zustand unseres gemeinsamen Kontinents und die Zukunft unserer Kinder hängen davon ab, dass alle Menschen guten Willens sich von den Scharfmachern nicht abbringen lassen, Frieden und Zusammenarbeit in Europa gegen die Stimmen von Gewalt und Krieg zu erkämpfen.

Mit freundschaftlichen Grüßen

(und im Einklang mit jenen 56-63% der Deutschen, die sich [je nach Umfrage] von unseren Medien in der Causa des Ukraine-Konflikts nicht vertreten fühlen)

Anja Böttcher

Quelle: Ständige Publikumskonferenz der öffentlich-rechtlichen Medien e.V.

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