Ex-MI5-Agentin Annie Machon im RT-Interview: "Die NSA spioniert weiterhin die ganze Welt aus"

Der Überwachungsskandal beherrscht derzeit nicht mehr die Berichterstattung. Doch was hat sich seit den Enthüllungen von Edward Snowden und der jüngsten WikiLeaks-Veröffentlichungen in Sachen anlasslose Massenüberwachung geändert? Bedeutet der kürzlich in den USA erfolgte Austausch des Patriot Act durch den Freedom Act einen Fortschritt für die Bürgerrechte oder handelt es sich bei dem Gesetz um orwell'schen Etikettenschwindel? RT sprach dazu mit der ehemaligen MI5-Offizierin und späteren Whistleblowerin Annie Machon.
Ex-MI5-Agentin Annie Machon im RT-Interview: "Die NSA spioniert weiterhin die ganze Welt aus"

Nachdem im Mai dieses Jahres der US-amerikanische Patriot Act auslief, der im Zuge von 9/11 die Bürgerrechte in den Vereinigten Staaten weitestgehend abschaffte, wurde das Nachfolgegesetz, der so genannte Freedom Act, als Meilenstein auf dem Weg zur Erneuerung des öffentlichen Vertrauens in die USA und der Geheimdienste gefeiert. Doch bei dem neuen Gesetz wird die anlasslose Massenüberwachung der Bürger einfach nur an die Telekommunikationsunternehmen ausgelagert. Mittels einer gerichtlichen Vollmacht kann die NSA weiterhin auf diese Daten zugreifen.

Am vergangenen Freitag hat ein Bundesgericht in den USA die Klage eines US-Amerikaners gegen diese verdachtslose Aufzeichnung von Kommunikationsdaten abgewiesen und revidierte damit eine Entscheidung eines Gerichts in Washington, das die Praktiken zuvor als verfassungswidrig ansah.

RT: Zunächst, was ist Ihre Sichtweise auf die Gerichtsentscheidung vom Freitag? War dies eine Einzelfallentscheidung oder kann diese Entscheidung Auswirkungen auf die Spionageprogramme der NSA haben?

Annie Machon: Für die NSA ist das Tagesgeschäft. Ich bin mir sicher, dass sie sehr froh darüber sind, nun gesagt bekommen zu haben, dass legal ist was sie machen. Ich meine, es gab eine große Zahl von gerichtlichen Auseinandersetzungen, bei denen verschiedene US-Gerichte entschieden hatten, das massenhafte Datensammeln sei legal, dann wurde dieses Verfahren für illegal erklärt, dann wieder für legal. Die NSA bezog sich dabei immer auf Abschnitt 215 des Patriot Act, der vom Kongress im Juni dieses Jahres erneut ratifiziert werden musste. Dagegen gab es Blockaden im gesamten System. Aber mit der jetzigen Entscheidung werden die Geheimdienste sehr zufrieden sein.

RT: Sicherlich, Präsident Obama wirkt auch sehr zufrieden. Wir wissen, das Weiße Haus hat die Entscheidung begrüßt. Zu Beginn des Jahres versprach Obama jedoch Reformen. Glauben Sie, es gab einen signifikanten Wandel in der Haltung des Weißen Hauses?

Annie Machon: Ich glaube sie haben den Schwarzen Peter weitergegeben, so dass die Judikative die harten Entscheidungen treffen muss. Mit dieser Entwicklung müssen keine harten politischen Entscheidungen gefällt werden. Sie können einfach sagen: "Nun ja, die Gerichte sagen es ist verfassungskonform, alles in Ordnung". Das ist vor allem schlimm für die US-amerikanischen Bürger, die in ihrem Land weiterhin massiv ausspioniert werden, begründet mit nebulösen und ständig wechselnden terroristischen Bedrohungslagen.

Allerdings hat die Gerichtsentscheidung vom Freitag natürlich keinerlei Auswirkungen für uns vom Rest der Welt. Denn da wir keine US-Bürger sind, kann die NSA uns ohnehin in fröhlicher Weise ausspionieren, so weit und detailliert wie sie wollen. Letztendlich ist die Entscheidung ein Rückschritt für Datenschützer und Bürgerrechtler in den USA, für den Rest von uns bleibt alles beim Alten.

RT: Sie sagen, es hat sich nichts geändert. Aber glauben Sie nicht der Freedom Act, der den Patriot Act ersetzt, ist ein Schritt nach vorne?

Annie Machon: Ich denke, das ist orwell'scher Neusprech. "Du bist frei" - nein bist du nicht! Das ist kein "Freiheits"-Gesetz, das ist ein Überwachungs-Gesetz. Nun wird lediglich versucht es umzugestalten, damit es besser klingt. Aber in der Sache ist es nicht besser. Und auch wenn dies in den USA anders wäre, wenn die NSA an die Leine genommen werden würde und ihnen nicht mehr erlaubt wäre, die eigenen Bürger zu überwachen, können sie einfach ihre Kumpel von der "Five Eyes"-Gruppe (USA, Kanada, Neuseeland, Australien und Großbritannien) fragen, damit diese die Überwachung übernehmen. Denn für die Geheimdienste dieser Länder wäre die Überwachung immer noch legal und die Informationen können dann einfach an die US-amerikanischen Dienste weitergegeben werden.

Wie ich schon sagte ist dies das Tagesgeschäft der Geheimdienste. Sie werden immer einen Weg finden um jede politische Aufsicht im eigenen Land zu untergraben, indem sie die jeweils anderen Systeme überwachen und Informationen untereinander austauschen. Wir leben also immer noch und in großem Maße in einem globalen Panoptikum.

Und keine dieser Maßnahmen hat irgendeinen reellen Einfluss auf den Schutz vor Terrorismus. Wir haben das immer und immer wieder gesehen. Ein NSA-Whistleblower, Thomas Drake, früherer leitender Angestellter des Dienstes, sagte, es gab vor den Anschlägen eine Menge an Informationen bezüglich 9/11, über die die NSA verfügte. Entweder wurden diese Informationen ignoriert, oder es wurde nicht angemessen reagiert, so dass es zu den Anschlägen kam. Und sofort danach sehen wir Geheimdienst-Chefs in den USA, die sagen, die Überwachung habe all diese terroristischen Attacken gestoppt. Sie haben damit sogar unter Eid den Kongress belogen. Letztendlich produziert dieses ganze massenhafte Sammeln von Daten einen riesigen Heuhaufen, in der bisher keine einzige Nadel wirklich gefunden wurde.

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