"Landesverrat" als Vorwand zum unbegrenzten Ausspionieren - Zeit für den "digitalen Bündnisfall"?

Mit ihrem Vorstoß gegen netzpolitik.org scheinen Verfassungsschutz-Präsident Hans-Georg Maaßen und Generalbundesanwalt Harald Range zunächst gescheitert zu sein. Doch was steckt hinter der Offensive, die von höchster bundespolitischer Ministerialebene gedeckt wurde? Kritiker, wie der FAZ-Blogger Don Alphonso und der Rechtsanwalt Markus Kompa, vermuten hinter der Aktion einen Versuch, den Missbrauch der geplanten Vorratsdatenspeicherung salonfähig zu machen. Zeit für die Zivilgesellschaft, sich zu wehren.
"Landesverrat" als Vorwand zum unbegrenzten Ausspionieren - Zeit für den "digitalen Bündnisfall"?Quelle: Reuters © Fabrizio Bensch

Die Aufregung ist groß seit Ende vergangener Woche bekannt wurde, dass Generalbundesanwalt Harald Range nach einer Anzeige des Präsidenten des Verfassungsschutzes, Hans-Georg Maaßen, gegen die überwachungskritische Plattform netzpolitik.org wegen Landesverrats ermittelt. Wie kaum anders zu erwarten war, verurteilt die Medienlandschaft geschlossen diesen Schritt als Angriff auf die Pressefreiheit. Denn klar ist auch: Wenn dieser Fall zur Normalität wird, haben alle Journalisten, die in diesem Land Missstände enthüllen und dies mit staatlichen oder geheimdienstlichen Orginal-Dokumenten belegen, künftig zu befürchten ganz legal vom Staat verfolgt zu werden. Die breite Solidarität mit netzpolitik.org ist also nicht nur der akribischen und handwerklich sauberen Detailarbeit zu Überwachungsfragen geschuldet und auch nicht der äußerst guten Vernetzung des Blogs im links-grünen Milieu, bei der Aufregung um netzpoltik.org geht es nicht wenigen Journalisten auch um ihre eigene Haut.

So rief der Kulturwissenschaftler Michael Seemann gar den "digitalen Bündnisfall" aus und plädierte dafür, dass alle zivilen Kräfte sich gemeinsam den Repressionsmaßnahmen entgegen stellen sollten.

"Egal, welche Meinungsverschiedenheiten es in der Vergangenheit in der Szene gegeben hat."
Derartiges hört man selten in der tief gespaltenen und zerstrittenen "Netzgemeinde", deren Umgang miteinander zu oft von gegenseitigem Misstrauen und Unbehagen geprägt ist.

Doch der staatliche Umgang mit netzpoltik.org zeigt wohin es führt, wenn sich Aktivisten, Blogger und Journalisten, die sich die Freiheit des Internets auf die Fahnen geschrieben haben, in erster Linie gegenseitig bekämpfen anstatt gemeinsamen Widerstand gegen Überwachungspraktiken und den Umbau des Netzes in eine antidemokratische, autoritäre Spionage-Maschine zu leisten.

Auch wenn weder Maaßen noch Range jemals glauben konnten, mit ihrer Offensive im vorliegenden Einzelfall erfolgreich zu sein, weist der Blogger Don Alphonso in der FAZ darauf hin, dass mit dem Angriff auf netzpolitik.org ein gefährlicher Präzedenzfall geschaffen wird. Denn das von der Großen Koalition geplante Gesetz zur Vorratsspeicherung - eine Vorstufe der gesetzlich verankerten anlasslosen Massenüberwachung - würde im Falle des "Landesverrates" ein umfangreiches staatliches "Abschnorcheln" der Verbindungsdaten der überwachungskritischen Internetplattform erlauben, ganz legal.

Oft wird die Vorratsdatenspeicherung mit den Argumenten verteidigt, dass diese nur zur Terrorismusbekämpfung oder bei anderen schwerwiegenden Fällen eingesetzt werden soll. Doch auch der Rechtsanwalt Markus Kompa weist bei Telepolis darauf hin, wie schnell zivile Kräfte ins Fadenkreuz der Ermittler kommen können. Kompa vergleicht den Fall mit einem Mandat, das dieser einst übernommen hat. Der Anwalt vertrat damals einen untergetauchten Mann, der an einer Schlägerei beteiligt gewesen war. Die Auseinandersetzung wurde von den Behörden als "versuchter Totschlag" umgedeutet, wodurch ein ganzes Set verschärfter Ermittlungswerkzeuge freigeschaltet wurde, darunter auch eine öffentliche Fahndung des Mannes.

So sieht Kompa hinter dem Vorstoß von Maaßen und Range vor allem strategische Gründe. Auch wenn eine solche Anzeige keinen Bestand hat und die Ermittlungen im Zuge der Skandalisierung gestoppt werden, wäre es den Geheimdiensten künftig erlaubt, ihre Kritiker im Zuge solcher anlaufenden Ermittlungen vollends auszuschnüffeln. Derartige Schritte erlauben dann eine umfassende Rekonstruktion überwachungskritischer Netzwerke und tiefe Einblicke in deren Struktur. Die Geheimdienste werden, wie viele Kritiker immer wieder betonen, zum Selbstzweck und arbeiten vor allem für die Aufrechterhaltung ihrer eigenen Machtposition - gegen die Interessen der Gesellschaft.

Besonders problematisch ist dabei, dass - trotz der öffentlichen Kritik von Bundesjustizminister Heiko Maas - dieses Vorgehen offenbar durch die höchste bundespolitische Ministerialebene gedeckt wurde. Die gleichen Kräfte, die mit großer Inbrunst - gegen jede Kritik - daran arbeiten das Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung durchzudrücken, sind also an Vorstößen beteiligt, die versuchen, den Missbrauch dieses Gesetzes salonfähig zu machen.

Somit wird der "digitale Bündnisfall" nicht mit der absehbaren endgültigen Einstellung des Verfahrens gegen netzpolitik.org enden. Doch sollten gerade auch die netzpolitischen Akteure ihre Positionen in allgemeiner System- und Herrschaftskritik stärken, anstatt auf diesem Feld, wie bisher, vor allem einen Kurs der Machtanbiederung zu fahren. Nur so wird sich die Legalisierung und Anwendung des autoritären Überwachungsstaates noch abwenden lassen.

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