"Celebrate Pride" - Steckt hinter den Regenbogen-Bildchen ein Facebook-Experiment?

Am vergangenen Freitag hat der Oberste US-Gerichtshof Ehen zwischen Homosexuellen für legal erklärt. Seit dem färbt sich Facebook in Regenbogenfarben, dem Symbol der LGBT-Bewegung. Zwei Mitarbeiter des US-Konzerns entwickelten ein einfaches Tool, mit dem Nutzer ihr Profilbild von einem entsprechenden Farbfilter überlagern lassen können. Auch Facebook-Gründer Mark Zuckerberg färbte als einer der ersten sein Portrait ein. Nun werden Stimmen laut, die ein Experiment hinter dem Hype vermuten. Facebook versichert indes, es gehe dem Unternehmen ausschließlich um Solidarität mit Homosexuellen, nutze allerdings bereits im Vorfeld eine ähnliche Wellendynamik für eine empirische Untersuchung. Auch grundsätzlich mehrt sich Kritik an dem Hang zum sogenannten "Slacktivsm", dem bequemen Pseudo-Aktivismus per Mausklick.
"Celebrate Pride" - Steckt hinter den Regenbogen-Bildchen ein Facebook-Experiment?

Bereits nach wenigen Stunden hatten über eine Millionen Menschen auf einen von Facebook zur Verfügung gestellten Link geklickt, der ihr Profilbild in dem Sozialen Netzwerk mit Regenbogenfarben überlagert. Anliegen der Welle ist, Zustimmung mit der Entscheidung des Obersten Gerichtshofes der USA, Ehen zwischen Homosexuellen künftig zu erlauben, auszudrücken.

Der Netzwerk-Forscher Cesar Hidalgo vom renommierten MIT-Institut hat um diesen Hype nun eine Debatte losgetreten. "Dies ist möglicherweise ein Facebook-Experiment. Die Frage ist, wie lange wird es dauern, bis die Leute ihre Profilbilder zurück ändern", witzelte der Wissenschaftler in einem Facebook-Eintrag und betonte in einem späteren Kommentar, dass es sich bei dieser Aussage um einen Scherz handelt.

Doch nicht nur Regenbogenfarben können sich viral verbreiten, auch offene Fragen über Memetik und Viralität. Der Technologie-Journalist J. Nathan Matias griff Hidalgos Aussage auf und verfasste darauf aufbauend einen Artikel auf dem Nachrichten-Portal "The Atlantic". Dieser wurde fast 40.000 mal geteilt. Matias argumentiert, Hidalgos Scherz werfe sehr wohl die Frage auf, ob Facebook denn generell Daten der Community nutzt, um Experimente durchzuführen und Studien zum Nutzerverhalten zu erstellen. Die Antwort ist "ja": Im März 2013 haben Mitarbeiter des Konzerns eine solche Untersuchung veröffentlicht. Auch hier geht es um die virale Verbreitung eines Bild-Symbols (rosafarbenes Gleich-Zeichen auf rotem Grund) in Solidarität mit Homosexuellen-Rechten. Das Bild verbreitete sich über drei Millionen mal in dem Netzwerk.

Die Facebook-Wissenschaftler untersuchten, basierend auf den Daten, die die Nutzer in das Soziale Netzwerk einspeisten, welche sozio-ökonomischen Faktoren zu einer Unterstützung gleichgeschlechtlicher Ehen führen. Das rosa-rote Symbol-Bild diente dabei als Indikator. Das Ziel der Studie ist aber um einiges umfangreicher: Es geht um die Vorhersage, wie sich Gruppen von Bürgern digital organisieren und wie diese kollektive Aktivität zu größeren sozialen Bewegungen heranwachsen kann.

Die Frage nach kollektiven Netzwerk-Effekten in Sozialen Medien, die auch große politische Auswirkungen haben können, wird seit 2009 umfangreich debattiert. Damals wurden Proteste im Iran von massiven Twitter-Kampagnen begleitet. Beobachter sprachen von der ersten "Twitter-Revolution", wenngleich diese im konkreten Fall scheiterte. Bei den Umstürzen in Tunesien und Ägypten in den Jahren 2010/2011 wurde der Vernetzung per Facebook eine große Rolle zugesprochen. Kurz darauf wurde Mark Zuckerberg zu einem "Internet-G8-Gipfel" nach Paris geladen, wo er dem damaligen französischen Staatspräsidenten Nicolas Sarkozy versicherte, die Rolle Facebooks beim "Arabischen Frühling" werde überschätzt. Die Konrad Adenauer Stiftung veröffentlichte eine Studie mit dem Titel "Die Bedeutung Sozialer Netzwerke in der Arabischen Welt", kommt aber zu keiner Antwort hinsichtlich der Frage, ob ein Machtwechsel ohne die Vernetzung via Facebook möglich gewesen wäre. Offenbar besteht weiterer Forschungsbedarf.

Andere Stimmen kritisieren im Zusammenhang mit den Sozialen Netzwerken vor allem einen Hang zum so genannten "Slacktivism" (Bequemer Pseudoaktivismus). Ohne große Mühen, Risiken und Anstrengungen - etwa durch das Ändern eines Profilbildes - kann sich jeder ein bisschen wie ein Aktivist fühlen und vermeintlich Teil einer großen Bewegung sein. Die Tools für dieses "Engagement" werden praktischerweise zur Verfügung gestellt, es reicht ein Klick, und schick ist es auch.

Eine Dynamik, die umfangreich auch im Anschluss an das Attentat auf die französische Satire-Zeitschrift Charlie Hebdo im Januar dieses Jahres zu beobachten war. "Je suis Charlie!", prangerte es da auf unzähligen Profilbildern.

Dass viele der "Charlies" zuvor nie von der Publikation gehört hatten, die sie plötzlich nach eigener Aussage waren, zeigt dass hier auch manipulativem Agenda-Setting Tür und Tor geöffnet wird. Schnell wurden etwa in Frankreich die Überwachungsgesetze massiv verschärft - mit dem argumentativen Verweis auf Charlie Hebdo. In Deutschland wollen die Innenminister die Polizei militärisch aufrüsten (Charlie Hebdo ist überall).

So neigt der Wohlfühl-Klick-Aktivismus im Netz durchaus auch zu Herdentrieb, mangelndem Reflexionsvermögen und Manipulierbarkeit. Das mag hinsichtlich der berechtigten Freude über ein Gerichtsurteil keine negativen Folgen haben, zeigt aber die Potenz viraler Informationsverbeitung im digitalen Zeitalter. Im Guten wie im Schlechten.

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