Interview zu Moskau-Konferenz: 40 Jahre nach Schlussakte von Helsinki - In welchem Europa wollen wir leben?

Vor 40 Jahren wurde die Schlussakte von Helsinki unterzeichnet. Mit ihr wurden die Grenzen der Nachkriegsordnung, das Selbstbestimmungsrecht der Völker sowie die Nichteinmischung in innere Angelegenheiten anderer Staaten vereinbart. Die Unterzeichnung 1975 galt als ein Höhepunkt in der friedenspolitischen Annäherung zwischen Ost und West. RT Deutsch sprach mit  Dr. Alexander Neu, Bundestagsabgeordneter und Teilnehmer an der Konferenz, die vom 21. bis 22. April, organisiert von der Rosa-Luxemburg-Stiftung, in Moskau stattfand.
Interview zu Moskau-Konferenz: 40 Jahre nach Schlussakte von Helsinki - In welchem Europa wollen wir leben?© Bundesarchiv, Bild 183-P0801-026 / Horst Sturm / CC-BY-SA 3.0

Herr Dr. Neu, die Schlussakte von Helsinki ist bereits vor 40 Jahren unterzeichnet worden. Welche Bedeutung hat die Schlussakte heute noch?

Die  aktuelle NATO-Expansion in Osteuropa und die Situation in der Ukraine zeigt, dass wir weit entfernt sind von dem Geist der Verständigung der zur Unterzeichnung der Helsinkischlussakte geführt hat. Das heißt im Umkehrschluss, gerade angesichts der aktuellen Lage brauchen wir dringender denn je, wieder eine gemeinsame Sicherheitsstruktur zwischen Europa und Russland, statt einer permanenten NATO-Ausweitung.

Aber Herr Dr. Neu, ist es Ihrer Einschätzung nach wirklich eine realistische Option, angesichts der aktuellen Spannungen zeitnah zu einer gemeinsamen Sicherheitsarchitektur zwischen Europa und Russland zu kommen?

Sie haben natürlich Recht, derzeit erscheint eine gemeinsame Sicherheitsarchitektur nicht möglich, aber es ist gleichzeitig die einzige nachhaltige Alternative, eine militärische Zuspitzung zu verhindern. Aber auch die Bundesregierung in Berlin kann nicht ernsthaft an einer weiteren militärischen Eskalation interessiert sein. Denn eine solche würde mit Sicherheit nicht die USA sondern Europa in eine humanitäre Katastrophe stürzen.

Unsere Aufgabe als Linke verstehe ich diesbezüglich, die Möglichkeiten einer neuen Friedens- und Sicherheitsarchitektur aufzuarbeiten, in der Hoffnung damit langfristig Erfolg zu haben.

Meine Vision ist, dass Deutschland an der Spitze Europas zusammen mit Russland eine Friedenszone etabliert, von Lissabon bis Wladiwostok, ohne Einflussnahme durch die USA.

Und lassen Sie mich noch einen weiteren Aspekt ansprechen. Die weitere Massierung von NATO-Manövern wird dazu führen, dass Russland entsprechend mit seiner Verteidigungsdoktrin darauf reagiert. Denn es geht, und dass ist auch unseren russischen Gesprächspartnern hier in Moskau sehr bewusst, nicht nur um die Ukraine, es geht grundsätzlich um die Eindämmung Russlands, insbesondere durch die USA. Die Vereinigten Staaten gießen dabei bewusst Benzin ins Feuer, im vollen Bewusstsein, dass eine militärische Konfrontation zwischen Russland und den USA sich in kürzester Zeit zu einem Nuklearkrieg ausweiten kann.

Sie sprachen gerade von der Gefahr eines Nuklearkrieges, war dieses Thema im Verlauf der Konferenz tatsächlich präsent?

Ja, unter den Teilnehmern war es zumindest Thema, jedoch mehr bei der deutschen Delegation als bei unseren russischen Gastgebern.

Wenn Sie gerade von den russischen Gastgebern sprechen, wie wird von russischer Seite die Rolle Deutschlands und der Bundesregierung bewertet?

Ich war überrascht von der, ich würde es beinahe Naivität nennen, gegenüber Deutschland. Die russische Seite hat nach wie vor ein sehr positives Deutschlandbild. Man trifft auf viel Zuneigung und der Hoffnung auf ein baldiges Umdenken. Man könnte fast von einer ‚einseitigen Liebeserklärung‘ sprechen. Dies steht in keinem Verhältnis zu der russophoben Haltung die man in  deutschen Politik- und Medienelite vorfindet.

Die Haltung der deutschen Bundesregierung in der Ukrainefrage wird vor allem durch Deutschland als ‚Marionette der USA‘ erklärt. Dass Deutschland auch ganz eigene Interessen in der Ukraine vertritt wird kaum wahrgenommen.

Herr Dr. Neu, kommen wir nochmals zurück auf das eigentliche Thema der Konferenz. 1995 wurde die Schlussakte von Helsinki in Form der OSZE institutionalisiert. Wie bewerten sie diese Entwicklung und wieso wird die KSZE im Rahmen der Moskauer-Konferenz positiver bewertet als die Nachfolgeorganisation OSZE?

Die OSZE, das muss man in aller Deutlichkeit sagen, hat seit ihrer Gründung eine schlechte Entwicklung genommen und wurde seitdem fast nur als Instrument der Einmischung in Osteuropa genutzt. Der ursprüngliche KSZE-Prozess muss wieder aufgenommen und auf seinen Ursprung zurückgeführt werden.

Das Gespräch führte RT Redakteur Florian Warweg

Dr. Alexander Neu ist Abgeordnete des Deutschen Bundestages und Obmann im Verteidigungsausschuss. 2000–2002 und 2004 war er für die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) im ehemaligen Jugoslawien tätig.

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