Warum wurde Nemzow ermordet - Motive jenseits der Anti-Putin-Hysterie

Die westlichen Medien und russlandfeindliche Politiker im Ausland machen wie erwartet Putin für die Ermordung des Oppositionspolitikers Boris Nemzow verantwortlich. Die russischen Sicherheitsbehörden ermitteln jedoch in alle Richtungen und ihnen ist dabei unter anderem aufgefallen, dass Nemzows 23-jährige Begleiterin sich in ihren bisherigen Aussagen in Widersprüche verwickelt hatte. Unterdessen rufen Vertreter der Opposition zum gewaltsamen Umsturz auf.
Warum wurde Nemzow ermordet - Motive jenseits der Anti-Putin-Hysterie

Geht es nach einer Reihe von westlichen Medien und Politikern, könnten die russischen Ermittlungsbehörden die Aufklärung des Mordes am Oppositionspolitiker Boris Nemzow ersparen – für sie steht in der Person des russischen Präsidenten Vladimir Putin der Schuldige jetzt schon fest. Es könne demnach gar keine andere Erklärung für den Mord geben als eine politische, denn Boris Nemzow war Kremlkritiker, und ein solcher kann nach westlicher Lesart – außer dem Kreml selbst – offenbar keine Feinde haben.

Mangels anderweitig greifbarer Motive wird vor allem darüber spekuliert, dass Nemzow – der politisch seit dem Scheitern seiner Partei "Bündnis der Rechten Kräfte" an der 5%-Hürde bei den Parlamentswahlen 2003 keine Rolle mehr spielte – auf verschlungenen Pfaden in den Besitz von "Beweisen" dafür gekommen wäre, dass Russland angeblich in den Bürgerkrieg in der Ukraine involviert wäre. Diese Spekulation kommt interessanterweise von den gleichen Medien, die exakt dies seit Beginn der Kampfhandlungen ohnehin als eindeutig erwiesen ansehen und alle diesbezüglichen Behauptungen des Kiewer Regimes für bare Münze nahmen.

Nemzows Weg nach ganz oben unter Jelzin - hat er sich dabei Feinde gemacht?

Kaum wird hingegen die Frage aufgeworfen, warum Nemzow in Russland seit seinem parlamentarisches Aus, das mittlerweile fast 12 Jahre zurückliegt, politisch kein Bein mehr auf die Erde bekommen hat.

Zwischen 1991 und 1997 war Nemzow als Gouverneur der Oblast Nischni Nowgorod noch ein Provinzpolitiker, der nur eingeschränkten Zugang zum inneren Kreis der Macht in jenen Jahren hatte. Doch schon damals pflegte er gute Beziehungen zu lokalen Industriekreisen.

Auf dem Höhepunkt seiner Karriere stieg er 1997 als stellvertretender Ministerpräsident unter dem damals bereits politisch und gesundheitlich angeschlagenen Präsidenten Boris Jelzin auf.
In jener Zeit konnte er zusammen mit seinen politischen Weggefährten Anatoli Tschubais das Anfang der 1990er begonnene Programm der "wirtschaftlichen Radikalreformen" weiterführen, das die Russische Föderation zusammen mit einem Programm der so genannten "gesellschaftlichen Liberalisierung" an den Westen anpassen sollte.

Nemzows "Bündnis der Rechten Kräfte" und zahlreiche weitere Politiker der damaligen Zeit versuchten, im Anschluss an die  "wilde Privatisierung" der frühen 1990er eine geordnete Privatisierung zu schaffen – aber selbst diese hatte zur Folge, dass wertvolle Ressourcen nicht mehr der Kontrolle der Regierung unterstanden. Das PSA-Gesetz (Production Sharing Agreement) ermöglichte es ausländischen Investoren, russisches Öl zu Schleuderpreisen ins Ausland zu schaffen, während sich in Russland selbst extreme Armut ausbreitete.

Gleichzeitig entgingen dem Staat Steuermittel, weil die ausländischen Eigner nicht selten mittels zweifelhafter Winkelzüge ihre zu versteuernde Gewinnsumme auf null brachten. Einnahmen, die dringend nötig gewesen wären, um den maroden Haushalt zu stabilisieren.

Wirtschaftliche Turbulenzen in Asien, eine Abwärtsspirale auf Grund nicht mehr wettzumachender Zahlungsrückstände, Kapitalabflüsse und hohe ungesicherte Risiken des russischen Bankensystems ließen dieses im Jahre 1998 zusammenbrechen und der russische Staat wurde zahlungsunfähig.

Nachdem Jelzin Nemzow im Jahre 1997 zum stellvertretenden Ministerpräsidenten sowie Treibstoff- und Energieminister ernannt hatte, holte Nemzow seinen Vertrauten aus der Zeit als Gouverneur von Nischni Nowgorod, Sergei Kirijenko, mit ins Boot, der noch im gleichen Jahr in seine Position als Energieminister nachrückte.

Nemzow und Kirijenko waren dabei vor allem für eine Form der Privatisierung von Schlüsselunternehmen der Energiebranche verantwortlich, die von Kritikern als nahe am Bereich der Kriminalität betrachtet wurde. Durch die Privatisierungsstrategie "Loans for Shares" ("Kredite gegen Aktien") wurde der russische Staat gleich doppelt geschädigt: Zum einen durch die Verschuldung auf Grund der Kredite, zum anderen dadurch, dass den meist ausländischen oder aus dem Kreis krimineller Oligarchen stammenden Kreditgebern auf diesem Wege Einfluss auf Schlüsselindustrien gewährt wurde.

Nemzow und sein politischer Weggefährte Tschubais traten vor dem Hintergrund dieser katastrophalen Entwicklung zurück. Als Präsident Jelzin sein Amt zu Beginn des Jahres 2000 an Vladimir Putin übertrug, versuchte Nemzow anfangs noch, das Vertrauen des neuen Staatsoberhauptes zu gewinnen. Putin jedoch zog es vor, nicht mehr auf die gescheiterten Rezepte der 1990er Jahre zurückzugreifen.

Nemzows Freundin

Was darüber hinaus im Zusammenhang mit der Ermordung Nemzows nicht außer Acht gelassen werden sollte, ist die Rolle seiner Begleiterin, der 23-jährigen Ukrainerin Anna Duritskaja, die sich mittlerweile wieder in der Ukraine befindet und sich an zahlreiche Details der Tat nicht erinnern will. Ihre Einträge in sozialen Netzwerken bis zum Jahre 2012 wurden mittlerweile gelöscht. Die Agentur, für die sie als "Fotomodell" gearbeitet haben soll, will zwar eine Datei über sie angelegt haben, sie sei aber "nicht ehrgeizig genug" gewesen. Stattdessen habe sie als Verkäuferin gearbeitet.

Andere Quellen berichten, sie sei zuletzt in einem "Eskortservice"  tätig gewesen. Auch von einer Affäre mit einem Brigadekommandanten der ukrainischen Armee war in unterschiedlichen Meldungen die Rede. Dies wäre ein Motiv im persönlichen Bereich, Nemzow loszuwerden. Duritskaja will zumindest nichts über Drohungen gewusst haben.

Nun soll Duritskaja sich zudem bei ihrer Befragung in Widersprüche verwickelt haben. Im Unterschied zu einem Augenzeugen, der zum Zeitpunkt der tödlichen Schüsse 80 Meter vom Tatort entfernt war und eine knappe Täterbeschreibung liefern konnte, will Nemzows Begleiterin diesen nicht einmal gesehen haben. Ihre Darstellung, der gesamte Vorgang habe sich hinter ihrem Rücken abgespielt, stimmt im Übrigen nicht mit den ersten Ermittlungsergebnissen überein, wonach der Täter dem Paar entgegengekommen sei und dieses passiert haben soll, ehe er kehrt gemacht und die Schüsse abgegeben hätte.

Auch wollen Zeugen in einem Restaurant kurz vor der Tat bemerkt haben, dass der Vorschlag, zu Fuß nach Hause zu gehen, von Duritskaja kam, während Nemzow ein Taxi oder den Chauffeur nehmen wollte. Dies deckt sich nicht mit der Aussage der Begleiterin, der Vorschlag zum Spaziergang sei von ihm gekommen. Duritskaja habe zudem einen Lügendetektortest verweigert und eine Aufnahme ins Zeugenschutzprogramm abgelehnt. Stattdessen sei sie bei erster Gelegenheit zurück in die Ukraine gereist.

Was bislang feststeht, ist lediglich, dass zwei der vier Kugeln, die den Politiker töteten, im Jahr 1986 und zwei andere 1992 gefertigt worden sind. Als Tatwaffen kommen entweder eine Makarov oder eine umgebaute Izh-Gaspistole in Betracht. Letztere wäre einfacher zu beschaffen, Fehlschüsse wären damit jedoch wahrscheinlicher.

Unterdessen rief der im US-Exil lebende Ex-Schachweltmeister Garri Kasparow zu einem gewaltsamen Umsturz in der Russischen Föderation auf.

"Wir werden vielleicht nie wissen, wer Boris Nemzow getötet hat, aber wir wissen, je eher Putin weg ist, desto größer sind die Chancen, dass das Chaos vermieden werden kann, gegen das Boris gekämpft hat”, wird Kasparow zitiert.
Auch der entmachtete Oligarch Michail Chodorkowski sprach in einem Interview mit der NZZ von "revolutionären Maßnahmen", die erforderlich wären.

Der Co-Vorsitzende der Nemzow-Partei, Wladimir Ryschkow, sieht hingegen im Gespräch mit der Financial Times einen "Kontrollverlust der staatlichen Autoritäten", also eigentlich das Gegenteil dessen, was Putin gemeinhin vorgeworfen wird.

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