Meinung

Die Schlacht um TTIP und CETA: Massendemonstration und Bürgerinitiative gegen Konzerndikatur

Im Zuge der Flüchtlingskrise ist die Diskussion um das Freihandelsabkommen TTIP in den medialen Hintergrund gerückt. Doch für Samstag ruft ein Bündnis von TTIP-Gegnern zur Großdemonstration nach Berlin. Gleichzeitig hat die "Europäische Bürgerinitiative gegen TTIP und CETA" innerhalb eines Jahres über drei Millionen Unterschriften gesammelt. Können die hoch umstrittenen Abkommen noch gestoppt werden? Nur wenn es gelingt das Thema wieder auf Platz eins der gesellschaftlichen Agenda zu setzen.
Die Schlacht um TTIP und CETA: Massendemonstration und Bürgerinitiative gegen KonzerndikaturQuelle: Reuters © Eric Vidal

von RT Deutsch-Redakteur Florian Hauschild

Zu Beginn der Debatte um TTIP ging es fast ausschließlich um das viel bemühte "Chlorhühnchen". Ein idealer Strohmann, den die Befürworter des umstrittenen Firmenschutzabkommens wohl nur zu gerne verbrannten. "Alles in bester Ordnung, es droht kein gechlortes Fleisch in Deutschland - und wenn, dann ist es natürlich unbedenklich", so die Argumentation.

Gleichzeitig geloben TTIP-Lobbyisten in Politik und Mainstreammedien gebetsmühlenartig, dass sich an den gewohnten Verbraucherschutz-Standards natürlich "nichts verschlechtern" werde. So hegt man gezielt eine Debatte ein: Zuerst die Aufmerksamkeit auf einen lächerlichen Nebenaspekt lenken und als Reaktion auf den massiven Widerstand der Bevölkerung lediglich auf diese Randthemen eingehen.

Bundeskanzlerin Angela Merkel verkündete kürzlich, dass bis Ende des Jahres eine Einigung über die Grundzüge des Abkommens erreicht worden sein soll und baut bei dieser Forderung auch gekonnt Druck mittels des transpazifisischen Schwesterabkommens auf.

TPP wurde am Montag von den Mitgliedsstaaten (darunter Kanada, Australien und die USA) unterzeichnet. Nun wird der TTIP-Zwilling genutzt, um in Europa mit der Argumentation "Da müssen wir jetzt auch mitmachen" Druck aufzubauen. Das Problem: Bei dem geplanten Konglomerat aus Firmenschutzabkommen sind die Unternehmen eines ganz bestimmten Staates in der segensreichen Position von all diesen Vertragswerken zu profitieren, während für die Ökonomien aller anderen Staaten immer nur das jeweils regionale Teilabkommen gilt, wie die folgende Grafik zeigt:

Zu TTIP, TPP und TiSA soll dann noch das geplante Abkommen CETA kommen, eine Art TTIP zwischen der Europäischen Union und Kanada. CETA ist bereits durchverhandelt und wartet auf seine Bestätigung in den Parlamenten.

TTIP und Co: Stellvertreterkrieg des Klassenkampfes

Am 19. Oktober steht nun die 11. Verhandlungsrunde für den EU-USA-Deal an und während auf der einen Seite die Umsetzung von TTIP immer stärker forciert wird, mobilisieren auch die Gegner immer erfolgreicher. Die Auseinandersetzung nähert sich der Zielgerade. Wie diese ausgeht ist längst nicht entschieden, doch wird eine mögliche Blockade des Abkommens auch zur Nagelprobe für die Restdemokratie in Europa. Von einer Verhinderung des Firmenschutzabkommens könnte gar ein demokratischer Aufbruch ausgehen, ein erfolgreiches Durchpeitschen von TTIP würde die "marktkonforme Demokratie", das Primat der Profitinteressen vor Bürgerbeteiligung und Gemeinwohl, endgültig besiegeln.

Bereits 2004 gab der legendäre Finanzinvestor Warren Buffett zu Protokoll:

"Wenn in Amerika ein Klassenkampf tobt, ist meine Klasse dabei, ihn zu gewinnen."

Nun hat sich dieser Kampf des einen Prozent gegen den Rest der Gesellschaft längst globalisiert. Der Streit um TTIP ist zu einer Art Stellvertreterkrieg um die Frage geworden, ob dieser Klassenkampf in absehbarer Zeit beendet wird - mit einer Finanz-, Wirtschafts-, Medien- und Politelite auf dem Siegespodest. So zeigt sich an dem Streit um TTIP auch mehr als deutlich, wer auf welcher Seite steht.

Thilo Bode, Gründer und Geschäftsführer der Verbraucherschutzorganisation foodwatch, sagt:

"Mit TTIP, so wie es jetzt geplant ist und derzeit verhandelt wird, wollen globale Konzerne ein Regelwerk etablieren, das fast ausschließlich ihren Interessen dient, das zu Lasten der großen Mehrheit geht, zu Lasten von Verbrauchern, Arbeitnehmern und vielen kleinen und mittleren Unternehmen, zu Lasten der Umwelt, der Souveränität der Länder und der Demokratie."

Der frühere Greenpeace-Manager sieht in TTIP eine konkrete Entmachtung der Parlamente zu Gunsten transnationaler Konzerne. Kritikpunkte, auf welche die Befürworter des Freihandelsabkommens erst gar nicht eingehen. Stattdessen versprechen diese "Arbeitsplätze" und "Wachstum", meist auf Grundlage von gefälschten Zahlen und unrealistischen Prognosen, wie Bode ebenfalls betont:

"foodwatch hat nachgewiesen, wie die TTIP-Befürworter mit Falschinformationen für das Abkommen trommeln: Positive wirtschaftliche Effekte wurden zum Beispiel zehnmal größer dargestellt als in Studien tatsächlich vorhergesagt. Nach unserer Kritik mussten etwa der Automobilverband VDA und der Industrieverband BDI, aber auch die EU-Kommission, ihre Zahlen öffentlich korrigieren."

Europäische Bürgerinitiative sammelt über 3 Millionen Unterschriften gegen TTIP und CETA

Ein Bündnis aus 500 Organisationen hat vor genau einem Jahr eine private Europäische Bürgerinitiative gegen TTIP und CETA auf den Weg gebracht, nachdem die EU sich weigerte ein entsprechendes Ersuchen in Gang zu setzen. In der Nacht zum heutigen Mittwoch endete die Frist zur Unterzeichnung. Europaweit konnten 3,263,920 Millionen Unterschriften gesammelt werden, viele davon aus Deutschland.

Bei der Bürgerinitiative steht die Kritik an den geplanten Schiedsgerichten im Vordergrund, die praktisch die bestehende Rechtsstaatlichkeit aushebeln sollen und Konzernen die Möglichkeit geben, Steuerzahler auf Schadensersatz zu verklagen, wenn nationale Umwelt- oder Sozialstandards deren Profite schmälern. In der Kurzkritik heißt es:

"Der Rechtsstaat wird durch die Einführung einer Paralleljustiz ausgehöhlt: Kanadische und US-amerikanische Unternehmen erhalten das Recht, Schadensersatz einzuklagen, wenn sie meinen, dass ihnen aufgrund von Gesetzen oder Maßnahmen der EU oder einzelner EU-Mitgliedsstaaten Verluste entstanden sind. Das kann auch Gesetze betreffen, die im Interesse des Gemeinwohls erlassen wurden, etwa zum Umwelt- und Verbraucherschutz.

Die Entscheidung über Schadensersatzzahlungen fällen private, größtenteils geheim tagende Schiedsgremien statt öffentliche Gerichte. Gezahlt wird aus der Staatskasse, also mit Steuermitteln."

Roland Süß, attac-Aktivist und mitverantwortlich für die Bürgerinitiative, sagt:

"Die EU-Kommission weigert sich, die Unterschriften in einem öffentlichen Raum entgegenzunehmen."

Deutlicher können die Herrschenden nicht zeigen, wie wenig sie der Wille des Volkes interessiert. Eine Steigerung dieser Verachtung des Demos gelang dennoch kürzlich dem CDU-Bundestagsabgeordneten Joachim Pfeiffer, der die zahlreichen TTIP-Gegner im Parlament pauschal als "Empörungsindustrie" abkanzelte.

Doch nicht bloß das mögliche Ergebnis der TTIP-Verhandlungen sorgt für Unmut, auch die Art und Weise, wie das Abkommen zustande kommen soll ist bereits ein Skandal. Auf die geheim geführten Verhandlungen haben Konzerne übermäßigen Einfluss, während Bürgerrechtsgruppen und Verbraucherschutzorganisationen gänzlich ausgeschlossen sind. Die oft versprochene Transparenz gegenüber der Öffentlichkeit kann nur als Farce bezeichnet werden.

Die 120 Verhandlungs-Dokumente lagern zur Einsicht vor Ort in der Berliner US-Botschaft. Doch selbst gewählte Parlamentarier müssen draußen bleiben. Dokumenteneinsicht wird lediglich einem sehr kleinen und exklusiven Kreis gewährt. 130 Personen durfte die Bundesregierung dafür vorschlagen. Die US-Botschaft prüft erst jeden Eintrag auf dieser Liste genau, bevor sie ihren Leseraum öffnet. Es dürfen keine Notizen gemacht werden, es darf nicht öffentlich über das Gelesene gesprochen werden. Eine derartig strikte Geheimhaltung haben sonst nur Kriminelle nötig.

Gleichzeitig wissen die politischen und medialen Befürworter von TTIP in der Regel überhaupt nicht, was sie da eigentlich bewerben und zitieren in ihren Werbeansprachen lediglich aus zu diesem Zwecke in Umlauf gebrachten PR-Texten.

Massendemonstration gegen TTIP und CETA

Am kommenden Samstag, den 10. Oktober 2015, soll es nun zum vorläufigen Höhepunkt des Widerstandes gegen TTIP kommen. Ein Trägerkreis von 33 Organisationen, darunter Campact, die großen Gewerkschaften Deutschlands, Brot für die Welt und foodwatch rufen zusammen mit 100 Unterstützerorganisationen, darunter auch die Parteien Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen, zur Großdemonstration nach Berlin. Um 12 Uhr soll es am Berliner Hauptbahnhof losgehen, das Programm reicht an der Berliner Siegessäule bis in die späten Abendstunden.

Auf der Pressekonferenz im Vorfeld betont Uwe Hiksch vom Sprecherkreis:

"Das Bündnis vereinigt Akteure, die die Ideologie des Freihandels generell ablehnen aber auch solche, die eine andere Art des Freihandels wollen, als er mit TIPP geplant ist."

Den Organisatoren zufolge wird das Teilnehmerfeld die ganze Breite der Gesellschaft abdecken. Entsprechend bunt und vielfältig soll die Demonstration werden. Angekündigt sind "Tango gegen TTIP" und zwanzig Motivwagen, die unter anderem mit Techno-Beats, trotz des ernsten Anliegens, für Party-Stimmung sorgen sollen. Die Ankündigung lässt eine Art Karneval am kommenden Samstag in Berlin erwarten.

Über Fernzüge und -busse aus dem gesamten Bundesgebiet haben bereits 30.000 bis 40.000 Teilnehmer zugesagt. In der Hauptstadt selbst hat das Bündnis ebenfalls massiv mobilisiert. Wie viele der rund drei Millionen Berliner sich für Samstag auf die Straße locken lassen, lässt sich freilich nicht prognostizieren.

Klar ist jedoch schon jetzt: Mit der ganztägigen Veranstaltung wird ein deutliches Signal gesetzt werden. Doch dass die politischen Entscheidungsträger von einer erfolgreichen Demonstration oder von über drei Millionenen Unterzeichnern zur Vernunft gebracht werden können, daran glauben nicht einmal die Organisatoren des Stop-TTIP-Bündnisses.

Im Anschluss an das kommende Wochenende soll deshalb vor allem in den Regionen der Widerstand gegen TTIP und CETA gestärkt werden. Oder um es in Anlehnung an TTIP-Freund Pfeiffer zu sagen:

Wenn der Widerstand gegen die Freihandelsabkommen eine "Empörungsidustrie" ist, ist es an der Zeit in die Massenproduktion zu gehen.

Anmerkung der Redaktion: RT Deutsch berichtet am Samstag mit einem Livestream von der Demonstration.

Durch die Sperrung von RT zielt die EU darauf ab, eine kritische, nicht prowestliche Informationsquelle zum Schweigen zu bringen. Und dies nicht nur hinsichtlich des Ukraine-Kriegs. Der Zugang zu unserer Website wurde erschwert, mehrere Soziale Medien haben unsere Accounts blockiert. Es liegt nun an uns allen, ob in Deutschland und der EU auch weiterhin ein Journalismus jenseits der Mainstream-Narrative betrieben werden kann. Wenn Euch unsere Artikel gefallen, teilt sie gern überall, wo Ihr aktiv seid. Das ist möglich, denn die EU hat weder unsere Arbeit noch das Lesen und Teilen unserer Artikel verboten. Anmerkung: Allerdings hat Österreich mit der Änderung des "Audiovisuellen Mediendienst-Gesetzes" am 13. April diesbezüglich eine Änderung eingeführt, die möglicherweise auch Privatpersonen betrifft. Deswegen bitten wir Euch bis zur Klärung des Sachverhalts, in Österreich unsere Beiträge vorerst nicht in den Sozialen Medien zu teilen.