Europa

Europäischer Polizeikongress in Berlin rüstet auf: Vollüberwachung, Militarisierung, Repression

Rund 1.500 Sicherheitsexperten haben sich auf dem 21. "Europäischen Polizeikongress" in Berlin zusammengefunden. Darunter Anbieter aus dem IT- und dem Rüstungssektor. Kritiker befürchten, dass sich diese Firmen damit Einfluss und Absatzmärkte auf Kosten der Grundrechte sichern.
Europäischer Polizeikongress in Berlin rüstet auf: Vollüberwachung, Militarisierung, RepressionQuelle: Reuters

Die größte internationale Fachkonferenz für innere Sicherheit in Europa fand am Dienstag und Mittwoch unter dem Motto „Sicherheit besser vernetzen. Information, Prävention, Repression“ statt.

Nach eigener Darstellung ist der Europäische Polizeikongress ein „internationaler Kongress, der sich als Informationsplattform für Entscheidungsträger der Polizeien und Sicherheitsbehörden versteht“.

Neben der Führungseben der europäischen Polizeien trafen sich Vertreter der Kriminal-, Schutz- und Grenzpolizeien, der Sicherheits- und Nachrichtendienste, der Regierungen und Parlamente aus dem In- und Ausland sowie branchenrelevanter Industrien und „führende Hersteller von Systemlösungen“.

Die Polizeien und die übrigen „Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben“ (BOS) sehen sich mit einer wachsenden internationalen, digitalen und vernetzten Kriminalität konfrontiert.

Vernetzung und Vorratsdatenspeicherung gegen Terror und Kinderpornografie

Die Vielfalt der Sicherheitsbedenken lässt sich durch einen Blick aufs Programm erahnen, allein am ersten Kongresstag gibt es Beiträge sowohl von Experten in den Bereichen Kindesmissbrauch und Cyberkriminalität als auch eines Vertreters der Rüstungsfirma Heckler und Koch.

Der Präsident des Bundeskriminalamts, Holger Münch, malte einige besondere Bedrohungen aus, für die die Sicherheitskräfte – technologisch und rechtlich – gewappnet werden müssten. So sei die Gefahr durch den radikalen Islamismus in Deutschland noch lange nicht gebannt.

Wir haben ein ständig steigendes islamistisches Bedrohungspotenzial in Deutschland“, warnte Münch am Dienstag zum Auftakt des Polizeikongresses. Nach wie vor sei die Bedrohungslage hoch.

Im Kampf an dieser Front sei eine stärkere Vernetzung der Sicherheitsbehörden in Bund und Land sowie auf europäischer Ebene notwendig. Es brauche zudem einen einheitlichen Rechtsrahmen in den Polizeigesetzen der Länder und ein einheitliches Informationsmanagement der Polizei. Münch forderte zudem eine „IT-Offensive der Polizei". Denn: "Wir müssen cyberfähiger werden.“

Im Kampf gegen Kinderpornografie forderte Münch vor dem Kongress zudem eine Ausweitung der Vorratsdatenspeicherung. Der BKA-Chef sagte Dienstag im ARD-Morgenmagazin, dass im vergangenen Jahr in 8.400 mutmaßlichen Kinderporno-Fällen die Täter nicht ermittelt werden können, weil den Ermittlern die Daten nicht zur Verfügung gestanden hätten. Insbesondere aus den USA erhielten die deutschen Behörden im Jahr mehrere Tausend Hinweise auf mögliche Fälle. Die Ermittlungen scheiterten häufig daran, dass in Deutschland nicht mehr gespeichert sei, welcher Computer zur Tatzeit hinter eine bestimmten IP-Adresse stand. Das BKA wurde kritisiert, schwerwiegende Verbrechen wie Kinderpornografie zu instrumentalisieren, um Lobbyarbeit für die Vorratsdatenspeicherung leisten.

Gesichtserkennung soll Sicherheit garantieren und hätte sogar Amri gestoppt

In einem Fachforum ging es auch um die Videoanalyse mittels biometrischer Gesichtserkennung, wie sie am Berliner Südkreuz getestet wurde.  Referats- und Projektleiter der Bundespolizei, Franz-Xaver Vogl  ließ sich zu der gewagten These hinreißen, dass der Einsatz biometrischer Gesichtserkennung möglicherweise dazu geführt hätte, den Terroristen Anis Amri zu erkennen, bevor dieser das Attentat am Breitscheidplatz im Dezember 2016 beging. Dass Amri jedoch gar nicht erst als Gefährder gesucht wurde, schmälerte Vogls Begeisterung nicht.

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In dem Pilotprojekt am Südkreuz werden offenbar Rechner von Dell eingesetzt; eines der dort eingesetzten Systeme wurde auch auf dem Polizeikongress vorgeführt. Ein Unternehmensvertreter von Dell plädierte ebenfalls für eine Änderung des rechtlichen Rahmens zugunsten technischer Lösungen.

Im Hinblick auf die Möglichkeit der Verhaltenserkennung in Kombination mit der Gesichtserkennung sagte Martin Grüning, Lösungsarchitekt innere Sicherheit bei Dell:

Wir können technisch mehr als wir rechtlich dürfen.

"Erkaufte Redezeit" – Jahrmarkt zur Aufrüstung der inneren und äußeren Sicherheit

Unter den Namen der beteiligten Unternehmen finden sich zahlreiche Zulieferer, die von der Digitalisierung und Militarisierung der Polizei profitieren, neben IT-Konzernen wie IBM, Microsoft, SAP und T-Systems auch Airbus, Rheinmetall oder Rhode und Schwarz und viele andere.

In den Foren, in denen je ein Sicherheitsschwerpunkt als eine Art Bedarf thematisiert wurde, kamen auch jeweils die Anbieter zu Wort. So wurden im Fachforum zu Videoüberwachung Beiträge eines Vertreters der Gewerkschaft der Polizei (GdP) sowie des Sicherheitskoordinators der Polizei in Madrid mit Beiträgen von Vertretern von Axon Public Safety, Panasonic Deutschland und Dallmeier ergänzt, einem der "weltweit führenden Anbieter von netzwerkbasierten Videosicherheitssystemen und hochwertiger Gesamtlösungen für den CCTV/IP-Bereich.“

Nach der Einführung für das Forum „Sicherheit von Großveranstaltungen und öffentlichen Räumen“ durch Michael Shlomi, Generalmajor a.D. der israelischen Polizei, referierten beispielsweise Vertreter von Canon und weniger bekannten Firmen wie Cognitec Systems, Anbieter von Gesichtserkennungstechnologie  oder Dermalog, „Pionier für biometrische Produkte und Lösungen“.

Der Europaexperte und Bundestagsabgeordnete Andrej Hunko (Die Linke) kritisiert den Kongress als „Verkaufsmesse zur Aufrüstung der inneren und äußeren Sicherheit

Private Sponsoren kaufen sich Redezeit im Hauptprogramm oder Workshops. Für eine Demokratie ist es jedoch höchst bedenklich, wenn Rüstungskonzerne, Drohnenhersteller und die Überwachungsindustrie auf diese Weise Einfluss auf die staatliche Sicherheitspolitik nehmen.

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Beschneidung der Grundrechte durch weitere Militarisierung und Überwachung

Kritiker sehen in der Tendenz zu mehr Überwachung und Aufrüstung der Polizei und Sicherheitsdienste auch einen weiteren Schritt in Richtung Einschränkung in der Verfassung verankerter Bürgerrechte. Der Verweis auf Gefahren wie Terrorismus dient dabei als universale Rechtfertigung, wie beispielsweise beim europäischen Nachbarn Frankreich, wo im November vergangenen Jahres ein neues Polizeigesetz verabschiedet wurde. Dabei wurden nach Einschätzung der Informationsstelle Militarisierung auf bedenkliche Weise Neuerungen eingeführt, die rechtsstaatliche Grundsätze wie die Unschuldsvermutung oder das Fernmeldegeheimnis aushebeln.

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Der Bereich Datenschutz wurde mittlerweile nicht nur in Baden-Württemberg dahingehend gelockert, dass Polizei und Verfassungsschutz bereits im Verdachtsfall von Kriminalität auch verschlüsselte Messenger-Dienste zurückgreifen können. Die seit Juni vergangenen Jahres eingeführte Quellen-TKÜ, der sogenannte Staatstrojaner, kann seit Januar diesen Jahres nicht mehr nur auf Windows-PCs und Skype zugreifen.

Laut einem Bericht der Welt hat das Bundesinnenministerium am 10. Januar die Nutzung des Staatstrojaners FinSpy freigegeben, womit gezielt nutzt Sicherheitslücken genutzt werden, um PCs und Smartphones nahezu vollständig zu überwachen.

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Weiterhin befürchten Bürgerrechtler durch die zunehmende Militarisierung der Polizeien eine Einschränkung beispielspielsweise beim Versammlungsrecht und dass kriegswaffenähnliche Ausrüstung unangemessen für den Auftrag der Polizei sei. Es zeige sich, dass Einsätze, die früher Streifenpolizisten bestritten, heute zunehmend von Spezialeinheiten erledigt werden, die heute schwer bewaffnet sind.

So sieht das Polizeigesetz in Baden-Württemberg vor, dass Spezialeinsatzkommandos (SEK) der Polizei auch Explosivmittel, darunter Handgranaten oder aus Schusswaffen verschossene Sprenggeschosse gegen Personen einsetzen dürfen. Und wenn auch das Polizeigesetz in Baden-Württemberg als eines der schärfsten bezeichnet wird, verwies die IMI darauf, dass sich viele Passagen quasi „wortgleich für das Bundeskriminalamt im von der Großen Koalition in der vergangenen Legislaturperiode verabschiedeten BKA-Gesetz“ finden, das als Vorlage für die Länder dient.

Erst im vergangenen Jahr erhielt der Waffenhersteller SIG Sauer einen Großauftrag von der Berliner Polizei, die mehr als 400 vollautomatische Sturmgewehre vom Typ MCX bestellte, ein Waffentypus, der von militärischen Eliteeinheiten genutzt und seitens von den durch die Rüstungsfirma geladenen Reportern als „Anti-Terror-Gewehr“ gelobt wird.

Bei der US-Elite-Truppe Delta Force und der britischen Spezialeinheit SAS ist es seit Jahren im Einsatz.

Auch die Bewohner des zweitkleinsten Bundeslandes Schleswig-Holstein sind ab diesem Jahr besonders gegen Terror-Gefahren gewappnet, hat das Kieler Innenministerium doch eine Großbestellung von 522 MCX-Sturmgewehren bei Sig Sauer getätigt.

Sachsen und Hamburg bereicherten ihre Polizein im vergangenen Jahr mit dem "Survivor R"-Panzerwagen von Rheinmetall, der die Insassen gegen Sprengfallen und sogar  Giftgas schützen soll. Die rund 500.000 Euro teuren, 330 PS starken Fahrzeuge waren im Sommer 2016 auf einer Fachmesse für Polizeiausrüstung in Leipzig präsentiert worden, wo offenbar auch Sachsens Innenminister Markus Ulbig (CDU) Sicherheitsideen shoppen ging.

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Sofern für Aufrüstung oder Überwachung bei den Sicherheitsbehörden weiterer Bedarf besteht, bietet der Polizeikongress eine ideale Darbeitungsplattform und damit einen potenziellen Absatzmarkt für einschlägige Anbieter. Denn die Technologie- und Rüstungsunternehmen, deren Namen im außenpolitischen Kontext häufig aus humanitären Gründen in die Kritik geraten, könnten künftig profitträchtig dazu beitragen, Kritik und Proteste im eigenen Land zu ersticken, denn immer öfter wird schweres Geschütz auch gegen Demonstranten und Verdächtige aufgefahren.

Ein Blick auf die Referenten des Polizeikongresses lässt erahnen, in welche Richtung die Sicherheitsexperten beraten werden. So gibt beispielsweise der Gesamteinsatzleiter des G-20 Gipfels Hartmut Dudde Tipps zur „Bewältigung von Demonstrationslagen“. Zur Erinnerung: aufgrund der massiven Gewalteskalation, die durch schwerst bewaffnete Polizeien nicht eingedämmt, sondern verschärft und vermutlich gar losgetreten  wurde, hatte es nach dem Gipfel Rufe nach dem Rücktritt von Hamburgs Bürgermeister Scholz gegeben, der jedoch in diesen Tagen vermutlich nicht nur zum Finanzminister, sondern auch zum Vizekanzler gemacht wurde. Außerdem gab es einen Beitrag von Oberst a. D. Dakar Eilat, der am National Defense College der israelischen Streitkräfte (IDF) lehrt: „Smart und Safe City: Eine israelische Sicht“.

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